Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

40 III. 1. Die Wiener Conferenzen. 
staaten der Elbe. Die von W. Humboldt redigirten Art. 108—116 der 
Wiener Congreßakte stellten den Grundsatz auf, daß die Schifffahrt auf 
den conventionellen Strömen frei, das will sagen: Niemandem verwehrt 
sein sollte, und verpflichteten die Uferstaaten, binnen sechs Monaten Ver- 
handlungen einzuleiten, damit die Schifffahrtsabgaben gleichmäßig und 
unabänderlich, ungefähr dem Betrage des Rhein-Octrois entsprechend, 
festgesetzt würden. 
Offenbar vermochten diese wohlthätigen Verheißungen nur dann ins 
Leben zu treten, wenn die Erhebung der Schifffahrtsabgaben, wie der 
Art. 115 ausdrücklich vorschrieb, von dem Zollwesen der Uferstaaten durchaus 
getrennt blieb und alle Betheiligten durch eine strenge Uferpolizei verhin- 
derten, daß die freie Schifffahrt zum Schmuggel in die Nachbarlande 
mißbraucht würde. Nur unter dieser Bedingung konnte Preußen, das jene 
Artikel der Congreßakte als sein eigenes Werk betrachtete, seine Hand zu 
ihrer Ausführung bieten; wie durfte man — so fragte späterhin eine 
preußische Staatsschrift — einem mächtigen Staate zumuthen, „in seinem 
Herzen einen Wurm zu dulden, der seine innere Lebenswurzel annagt?“) 
Nur wenn Anhalt, das von der Provinz Sachsen rings umschlossen war, 
dem preußischen Zollsysteme beitrat, konnte die verheißene Freiheit der 
Elbschifffahrt und der rechtmäßige Ertrag der preußischen Einfuhrzölle 
zugleich gesichert werden. Seit der alte Dessauer einst die sämmtlichen 
Landgüter seiner Ritterschaft aufgekauft, hatten sich Landbau und Forst- 
wirthschaft in den anhaltischen Ländchen unter der sorgsamen Pflege ihrer 
Fürsten glücklich entwickelt; alle seine natürlichen Interessen verwiesen dies 
blühende Gartenland, das der Industrie noch gänzlich entbehrte, auf den 
freien Verkehr mit den benachbarten gewerbreichen Bezirken Preußens. Was 
der Vereinbarung im Wege stand, war allein der tolle Souveränitäts- 
dünkel des Herzogs von Köthen und die weiter blickende Feindseligkeit 
seines Rathgebers Adam Müller. Die „Anschließungs-Insinuationen“ 
des Berliner Cabinets wies der Herzog empört zurück: ob man denn 
nicht einsehe, so fragte er einmal, „wie schon die bloße Unnatur eines 
solchen Verhältnisses, die Unterordnung eines souveränen Fürsten unter 
die Zoll-Administration eines benachbarten Staates, dem Bestande eines 
freundschaftlichen Verhältnisses mit der Regierung desselben durchaus un- 
günstig seil“) 
Da mit Vernunftgründen bei diesem Hofe nichts auszurichten war, 
so begnügte sich Preußen vorläufig sein Enclavensystem gegen Anhalt auf- 
recht zu halten. Alle zu Lande nach Anhalt eingehenden Waaren wurden 
dem preußischen Eingangszolle unterworfen. Nur den Elbschiffern er- 
laubte man Sicherheit zu stellen für die Zahlung der preußischen Ab- 
  
*) Instruktion an Nagler, 27. Febr. 1827. 
**) Schreiben der herz. Regierung zu Köthen an Graf Bernstorff, 27. März 1823.
	        
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