8 V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
gangenheit und Zukunft. Das aufstrebende junge Geschlecht meinte der
alten Zeit durch den Schwung, die Gläubigkeit, die Gemütstiefe, die
Ironie der Romantik weit überlegen zu sein. Friedrich Wilhelms Herzens-
freund Prinz Johann von Sachsen besang in feierlichen Trochäen die
kalte Marmorpracht der Königssäle da droben:
Ist es nicht, als ob es hier noch tönte,
Jenes beißenden Jahrhunderts Witz? —
und schilderte dann in hüpfenden Daktylen das Gartenhaus drunten mit
seiner jugendlichen Fröhlichkeit:
Hier fühlt man schlagen, was ewig dort fehlet,
Neben dem Geist ein erwärmendes Herz.
Bald nach seiner Thronbesteigung schlug der neue König selbst in
dem Schlosse des großen Friedrich sein Hoflager auf, was keiner seiner
beiden Vorgänger gewagt hatte. Die unausbleiblichen erdrückenden Ver-
gleichungen erschreckten ihn nicht, denn er hoffte, daß jetzt zum zweiten
Male von diesem „historischen Hügel“ herab ein neuer Geist sich über das
Land ergießen würde, ein anderer freilich als der friderizianische, der Geist
des christlichen Staates. In ernster Arbeit und schweren Seelenkämpfen
hatte er die rationalistischen Lehren seiner Jugenderzieher längst über-
wunden und den Glauben als die höchste Potenz der Vernunft begriffen.
Unauslöschlich stand in seinem Herzen der Spruch des heiligen Augustin:
das unwandelbare Licht Gottes war über mir, weil es mir das Dasein
gegeben, und ich war unter ihm, weil es mich erschaffen hat. Daraus
ergab sich ihm „der unaussprechliche Unterschied des Schöp-
fers und Geschöpfes, daher auch der Wahnsinn, die Gottheit aus dem eigenen
Wesen, als einem Analogon der GottheitlII zu konstruieren.“)
Nichts war ihm darum hassenswürdiger als „die Drachensaat des Hegel-
schen Pantheismus“; tiefsinniger als Hegel erkannte er, daß jedes Zeit-
alter nicht bloß als eine Entwicklungsstufe für die Zukunft etwas bedeutet,
sondern seinen selbständigen Wert, seine eigene Beziehung zu Gott hat.
Die neue Zeit aber, die jetzt heraufgraute, sollte mit der Erbschaft der
alten Aufklärung gründlich aufräumen, die Revolution durch die Freiheit,
die fleischliche Freiheit durch die christliche, den mechanischen durch den
christlichen Staat überwinden.
Eine Welt herrlicher Pläne hatte er sich mit künstlerischer Phantasie
schon ausgesonnen, und nun, da er der Herr war, drängte ihn sein liebe-
volles Gemüt, das überall augenblicklich Freude bereiten, überall glück-
liche Gesichter um sich sehen wollte, sie alle zu verwirklichen. Er dachte
die provinzialständische Verfassung durch die Einberufung eines ständisch
gegliederten Reichstags zu vollenden, nimmermehr durch eine papierene
*) Bemerkungen des Kronprinzen zu Bunsens Abhandlung über Cherecht, Staat
und Kirche.