Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Herwegh vor dem Könige. 205 
ich ihn für einen wahren, begeisterten Republikaner hielt; hätte ich gewußt, 
daß er Deserteur von einem württembergischen Infanterie-Regimente ist, 
„so hätt' ich ihn natürlich nie gesehen.“ Vor dem Angesichte der Majestät 
benahm sich der junge Schwabe linkisch, verlegen, demütig. Der König 
lobte sein poetisches Talent und bedauerte seine radikale Richtung; er 
wünschte ihm einen Tag von Damaskus — „dann erst wird Ihr Wirken 
außerordentlich groß sein“ — und schloß das kurze Gespräch mit den 
gütigen Worten: wir wollen ehrliche Feinde sein. Zum Dank brachte die 
Leipziger Allgemeine Zeitung einen gehässig entstellenden Bericht, worauf 
Friedrich Wilhelm befahl, in der amtlichen Berichtigung solle bemerkt 
werden: „Es verlautet, der König habe nach Lesung des Artikels gesagt: 
Ich erkenne das Machwerk derjenigen Juden, über deren zudringliche 
Freundschaft Herwegh klagte. — Das ist nämlich wörtlich geschehen!“s) Er 
ward noch unwilliger, als er Näheres über die Vergangenheit des Dichters 
erfuhr, und äußerte bitter: Ein Gedicht in den Zeitungen „scheint mir 
Herwegh zu verspotten wegen seines Nackenbeugens bei mir. Grand 
bien lui fasse “/73) 
Mittlerweile war der Poet nach Königsberg gegangen, und hier 
scharte sich um ihn die gesamte Opposition. Bei dem großen Festmahle 
spielte man die Marseillaise — was bei den liberalen Feierlichkeiten dieser 
Jahre schon ganz gewöhnlich war und den gedankenlosen Zuhörern kaum 
noch auffiel.**) Ein Festgruß des jungen Dichters Wilhelm Jordan 
feierte die Felsennacken der Männer Ostpreußens und sprach verächtlich 
von dem weichlichen Berlin, wo alles in tollem Veitstanz rase, wenn Fanny 
Elsler ihre Sylphenbeine schwinge: 
Der Eitelkeit und der Genußsucht Dämon 
Besessen hält dies üppige Korinth. 
Hier aber, Herwegh, hier ist Lacedämon, 
Wir rasen nicht, weil wir Spartaner sind. 
Die Phrase lag in der Luft, alles überbot sich in heroischem Pathos. Ein 
junger Mann, aus dem nachmals ein trefflicher Gelehrter geworden ist, 
erwiderte auf Jacobys Frage: „Sie sind Student?“ — feierlich: „Und 
in des Worts verwegenster Bedeutung“ — worauf er die erhabene Zu- 
rechtweisung erhielt: „Sagen Sie doch lieber: im Sinne der Tat.“ So- 
gar der kluge Rechtsanwalt Crelinger, ein hagerer Herr mit großer Juden- 
nase, dem man den feinen, verwöhnten Gelehrten sofort ansah, konnte 
dem allgemeinen Rausche nicht widerstehen und redete so gewaltig von dem 
Schwert an seiner Linken, daß seine Freunde selbst ihn nicht ohne Lächeln 
betrachten konnten. 
Der König war empört über „die Blutlieder“ dieses Festes. Wie 
*) Randbemerkung zu Thiles Bericht vom 28. Nov. 1842. 
**) König Friedrich Wilhelm an Thile, 8. Dez. 1842. 
###) Böttichers Bericht an Thile, 13. Dez 1842. 
 
	        
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