Herwegh vor dem Könige. 205
ich ihn für einen wahren, begeisterten Republikaner hielt; hätte ich gewußt,
daß er Deserteur von einem württembergischen Infanterie-Regimente ist,
„so hätt' ich ihn natürlich nie gesehen.“ Vor dem Angesichte der Majestät
benahm sich der junge Schwabe linkisch, verlegen, demütig. Der König
lobte sein poetisches Talent und bedauerte seine radikale Richtung; er
wünschte ihm einen Tag von Damaskus — „dann erst wird Ihr Wirken
außerordentlich groß sein“ — und schloß das kurze Gespräch mit den
gütigen Worten: wir wollen ehrliche Feinde sein. Zum Dank brachte die
Leipziger Allgemeine Zeitung einen gehässig entstellenden Bericht, worauf
Friedrich Wilhelm befahl, in der amtlichen Berichtigung solle bemerkt
werden: „Es verlautet, der König habe nach Lesung des Artikels gesagt:
Ich erkenne das Machwerk derjenigen Juden, über deren zudringliche
Freundschaft Herwegh klagte. — Das ist nämlich wörtlich geschehen!“s) Er
ward noch unwilliger, als er Näheres über die Vergangenheit des Dichters
erfuhr, und äußerte bitter: Ein Gedicht in den Zeitungen „scheint mir
Herwegh zu verspotten wegen seines Nackenbeugens bei mir. Grand
bien lui fasse “/73)
Mittlerweile war der Poet nach Königsberg gegangen, und hier
scharte sich um ihn die gesamte Opposition. Bei dem großen Festmahle
spielte man die Marseillaise — was bei den liberalen Feierlichkeiten dieser
Jahre schon ganz gewöhnlich war und den gedankenlosen Zuhörern kaum
noch auffiel.**) Ein Festgruß des jungen Dichters Wilhelm Jordan
feierte die Felsennacken der Männer Ostpreußens und sprach verächtlich
von dem weichlichen Berlin, wo alles in tollem Veitstanz rase, wenn Fanny
Elsler ihre Sylphenbeine schwinge:
Der Eitelkeit und der Genußsucht Dämon
Besessen hält dies üppige Korinth.
Hier aber, Herwegh, hier ist Lacedämon,
Wir rasen nicht, weil wir Spartaner sind.
Die Phrase lag in der Luft, alles überbot sich in heroischem Pathos. Ein
junger Mann, aus dem nachmals ein trefflicher Gelehrter geworden ist,
erwiderte auf Jacobys Frage: „Sie sind Student?“ — feierlich: „Und
in des Worts verwegenster Bedeutung“ — worauf er die erhabene Zu-
rechtweisung erhielt: „Sagen Sie doch lieber: im Sinne der Tat.“ So-
gar der kluge Rechtsanwalt Crelinger, ein hagerer Herr mit großer Juden-
nase, dem man den feinen, verwöhnten Gelehrten sofort ansah, konnte
dem allgemeinen Rausche nicht widerstehen und redete so gewaltig von dem
Schwert an seiner Linken, daß seine Freunde selbst ihn nicht ohne Lächeln
betrachten konnten.
Der König war empört über „die Blutlieder“ dieses Festes. Wie
*) Randbemerkung zu Thiles Bericht vom 28. Nov. 1842.
**) König Friedrich Wilhelm an Thile, 8. Dez. 1842.
###) Böttichers Bericht an Thile, 13. Dez 1842.