270 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.
Vergoß um nichts Märtyrerblut.
Im Opernhause kann man's sehn:
Der König, der muß flöten gehn. Hurra!
Der mittellosen Tochter des Verbrechers nahm sich der König gnädig
an; er ließ sie auf seine Kosten bei einem braven Pfarrer in Westfalen
unterbringen. Das trotzige, ganz in den Gedanken des Vaters befangene
Mädchen sah aber in der Wohltat nur eine Strafe. Von dem badischen
Liberalen Hecker unterstützt, entfloh sie in das Elsaß, nachher in die Schweiz,
wo sie durch Rauschenplatt und Dulk in die Geheimbünde der wildesten
Demagogen eingeführt wurde und ein Buch über ihres Vaters Leben ver-
faßte — eine der ruchlosesten Schriften dieser verworrenen Zeit: da ward
der Königsmord wie die einfachste Sache von der Welt dargestellt, die gar
keiner Erklärung bedurfte, und der gesetzmäßige Richterspruch wie ein grau-
samer Frevel. Derweil die Schriften der Flüchtlinge sich in wütenden
Schmähungen wider die Berliner Blutrichter ergingen, hielt Otto v. Ger-
lach seiner armen Gemeinde in der Elisabethkirche eine erschütternde Pre-
digt: es ist ein Bann unter Dir, Israel. Er hatte dem Verurteilten
während seiner letzten Lebenstage beigestanden — so liebevoll, daß Tschech
selbst die geistliche Hilfe nicht ganz ablehnte — und nach diesen frischen
Eindrücken schilderte er nun mit dem Mute des treuen Seelsorgers das
Verbrechen, wie es wirklich war: als eine Tat persönlicher Rachsucht und
zugleich als ein Zeichen des unbotmäßigen Hochmuts dieser Tage. Die
Rede enthielt kein unwahres, kein fanatisches Wort; als Gerlach sie je-
doch auf den Wunsch der tief ergriffenen Hörer zum Drucke geben wollte,
da verweigerten die ängstlichen Behörden die Erlaubnis. Sie befürchteten,
die allgemeine Aufregung würde noch steigen, wenn ein tapferer Mann
in die offenen Wunden der Zeit den Finger legte; daß die Schmäh-Ar-
tikel der Demagogen überall über die Grenze drangen, vermochten sie frei-
lich nicht zu hindern. Also wuchs die Ratlosigkeit der Regierung, und
mit ihr die Frechheit der revolutionären Partei; noch weiter auf diesem
Wege, und eine friedliche Lösung ward unmöglich. —
Friedrich Wilhelm ahnte das selbst und begann nunmehr seine Ver-
fassungspläne ernstlich auszuarbeiten. Auf einer Reise durch Osterreich
besprach er sich darüber mit Metternich, der nachher noch durch den Ge-
sandten Canitz genauere Mitteilungen erhielt, aber, wie sich voraussehen
ließ, nmur mit ehrerbietigen Abmahnungen antwortete. Nicht eigentlich um
den Rat des Osterreichers war es dem Könige zu tunz; er wünschte nur
sein Herz auszuschütten vor dem verehrten Staatsmanne, den er für Preu-
ßens wärmsten Freund hielt, ihm die Notwendigkeit der geplanten Refor-
men unwiderleglich zu erweisen. Heimgekehrt brachte er seine Gedanken
endlich zum Abschluß und erteilte am 24. Dez. 1844 dem Ministerrate
seine Weisungen für das Verfassungswerk. Er wollte zum ersten die Pro-
vinziallandtage erhalten mit dem Rechte der Beratung über Provinzial-