Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

270 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung. 
Vergoß um nichts Märtyrerblut. 
Im Opernhause kann man's sehn: 
Der König, der muß flöten gehn. Hurra! 
Der mittellosen Tochter des Verbrechers nahm sich der König gnädig 
an; er ließ sie auf seine Kosten bei einem braven Pfarrer in Westfalen 
unterbringen. Das trotzige, ganz in den Gedanken des Vaters befangene 
Mädchen sah aber in der Wohltat nur eine Strafe. Von dem badischen 
Liberalen Hecker unterstützt, entfloh sie in das Elsaß, nachher in die Schweiz, 
wo sie durch Rauschenplatt und Dulk in die Geheimbünde der wildesten 
Demagogen eingeführt wurde und ein Buch über ihres Vaters Leben ver- 
faßte — eine der ruchlosesten Schriften dieser verworrenen Zeit: da ward 
der Königsmord wie die einfachste Sache von der Welt dargestellt, die gar 
keiner Erklärung bedurfte, und der gesetzmäßige Richterspruch wie ein grau- 
samer Frevel. Derweil die Schriften der Flüchtlinge sich in wütenden 
Schmähungen wider die Berliner Blutrichter ergingen, hielt Otto v. Ger- 
lach seiner armen Gemeinde in der Elisabethkirche eine erschütternde Pre- 
digt: es ist ein Bann unter Dir, Israel. Er hatte dem Verurteilten 
während seiner letzten Lebenstage beigestanden — so liebevoll, daß Tschech 
selbst die geistliche Hilfe nicht ganz ablehnte — und nach diesen frischen 
Eindrücken schilderte er nun mit dem Mute des treuen Seelsorgers das 
Verbrechen, wie es wirklich war: als eine Tat persönlicher Rachsucht und 
zugleich als ein Zeichen des unbotmäßigen Hochmuts dieser Tage. Die 
Rede enthielt kein unwahres, kein fanatisches Wort; als Gerlach sie je- 
doch auf den Wunsch der tief ergriffenen Hörer zum Drucke geben wollte, 
da verweigerten die ängstlichen Behörden die Erlaubnis. Sie befürchteten, 
die allgemeine Aufregung würde noch steigen, wenn ein tapferer Mann 
in die offenen Wunden der Zeit den Finger legte; daß die Schmäh-Ar- 
tikel der Demagogen überall über die Grenze drangen, vermochten sie frei- 
lich nicht zu hindern. Also wuchs die Ratlosigkeit der Regierung, und 
mit ihr die Frechheit der revolutionären Partei; noch weiter auf diesem 
Wege, und eine friedliche Lösung ward unmöglich. — 
Friedrich Wilhelm ahnte das selbst und begann nunmehr seine Ver- 
fassungspläne ernstlich auszuarbeiten. Auf einer Reise durch Osterreich 
besprach er sich darüber mit Metternich, der nachher noch durch den Ge- 
sandten Canitz genauere Mitteilungen erhielt, aber, wie sich voraussehen 
ließ, nmur mit ehrerbietigen Abmahnungen antwortete. Nicht eigentlich um 
den Rat des Osterreichers war es dem Könige zu tunz; er wünschte nur 
sein Herz auszuschütten vor dem verehrten Staatsmanne, den er für Preu- 
ßens wärmsten Freund hielt, ihm die Notwendigkeit der geplanten Refor- 
men unwiderleglich zu erweisen. Heimgekehrt brachte er seine Gedanken 
endlich zum Abschluß und erteilte am 24. Dez. 1844 dem Ministerrate 
seine Weisungen für das Verfassungswerk. Er wollte zum ersten die Pro- 
vinziallandtage erhalten mit dem Rechte der Beratung über Provinzial-
	        
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