Abtta Troll. Wintermärchen. Zeitgedichte. 381
das leichte gereimte Versmaß mit seinen scheinbar kunstlosen und doch dem
Genius unserer Sprache fein abgelauschten Hebungen und Senkungen
gab dem Wintermärchen einen frechen Schwung, der den Künsteleien des
Atta Troll fehlte; die alte Sprachgewalt war dem Dichter auch jetzt noch
geblieben, und in Paris wollte man sein Französisch nie recht gelten lassen,
denn wer einer Sprache gänzlich Meister ist, kann eine zweite fast niemals
völlig beherrschen. Um den Besuch des alten Vaterlandes würdig abzu-
schließen, fragte Heine zum Abschied nach der Zukunft Deutschlands und
erblickte ihr Bild — im Nachtstuhle Karls des Großen: „es war, als fegte
man den Mist aus sechsunddreißig Gruben!“ Gerade dies Gedicht, eines
der geistreichsten und eigentümlichsten aus Heines Feder, mußte den
Deutschen zeigen, was sie von diesem Juden trennte. Die arischen Völker
haben ihren Thersites, ihren Loki; einen Ham, der seines Vaters Scham
entblößt, kennen nur die Sagen der Orientalen.
Daß ein englischer, ein französischer oder italienischer Jude sich je
erfrecht hätte, sein Geburtsland dermaßen mit Unflat zu bewerfen, war
schlechthin undenkbar. Der deutsche Nationalstolz aber, unfertig wie er
war, bald überreizbar, bald stumpf, ertrug auch dies. Derweil die ernsten
Männer sich angeekelt abwendeten, behielt Heine unter der radikalen
Jugend noch immer Verehrer, und bald wagte er in seinen „Zeitgedichten“
jene Schmutzereien noch zu überbieten. Über dem stinkenden Sumpfe der
„Lobgesänge auf König Ludwig von Bayern“ erglänzte noch dann und
wann das Frrlicht eines schlechten Witzes; doch den Spottliedern auf
Preußen und sein Herrscherhaus fehlte jeder Hauch künstlerischer An-
mut, feinen Scherzes; hier erklang nur noch das „steiniget ihn, kreu-
ziget ihn“, das blödsinnige Wutgeheul jüdischen Hasses. „Ihr sollt es
ersäufen oder verbrennen“, so sprach er über Preußen, den Wechsel-
balg, das Ungetüm, unter einem Aufwande sodomitischer Bilder, wie sie
nur seiner unreinen Phantasie entsteigen konnten. Und wieder unter
sodomitischen Schmutzreden schilderte er die Hohenzollern, das Geschlecht
Friedrichs des Großen, also:
Das Brutale in der Rede;
Das Gelächter ein Gewiehrr;
Stallgedanken, und das öde
Fressen — jeder Zoll ein Tier!
Nicht lange nachher verfiel er einer schrecklichen Krankheit, die ihn bis zum
Tode an das Bett fesselte. Er ertrug sie standhaft — allerdings nicht
ohne der Welt die Qualen seiner „Matratzengruft“ mit orientalischem
Marktgeschrei zu verkündigen — und blieb der Alte, ein Dichter, der Schön-
heit ebenso mächtig wie der Niedertracht. Sein letzter Ausgang, bevor
er für immer der freien Luft entsagen mußte, führte ihn in den Louvre,
zu der Stelle, wo das Standbild der Venus von Melos leuchtend aus
der roten Wand heraustritt. Dort vor dem Bilde der Göttin, die ihm