388 V. 5. Realismus in Kunst und Wissenschaft.
land mein, könnt' ich nur im Tode vereinet dir sein — so hatten die
christlichen Deutschen auch dies Herzeleid nicht verschuldet, sie verwehrten
ihr ja keinswegs, nach Palästina heimzukehren.
Zarter, reizender, weiblich liebenswürdiger erschien Fanny Lewalds
Todfeindin, die Gräfin Ida Hahn-Hahn in ihren nachlässig hingeworfenen,
mangelhaft durchgebildeten Salonromanen. Die anmutige Tochter des
allbekannten mecklenburgischen Theatergrafen, der sein ganzes Leben und
ein großes Vermögen an die Abenteuer wandernder Schauspielerbanden
verschwendete, hatte von ihrem Vater die Wunderlichkeit und die schwär-
merische Empfindung geerbt. Ihre „immense Seele“ sehnte sich ewig
unbefriedigt nach „dem Rechten“; und es war Weiberlos, daß dies liebe-
bedürftige Gemüt nach manchen holden Verirrungen endlich von Babylon
nach Jerusalem pilgerte, in der Strenge des Klosters seinen Frieden suchte.
Ihre Welt war der Adel, aber nicht die tüchtigen, auf der väterlichen
Scholle hausenden oder unter den Fahnen ihres Fürsten kämpfenden Edel-
leute, wie Alexis sie schilderte, sondern die eleganten Weltmänner der Re-
sidenzen und der Bäder, fast alle geistreich, galant, eifrig beschäftigt mit
der Erforschung großer Frauenseelen, so völlig unbekümmert um die Prosa
des Lebens, daß sie von einem ihrer Helden bezeichnend sagen konnte:
der ganze gestrige Abend war ihm wie Geld unter den Händen wegge-
kommen. Aus manchen Liebesszenen sprach ein reines Gefühl süßer weib-
licher Hingebung; zuletzt hinterließ das gesamte Treiben dieser vornehmen
Gesellschaft doch den Eindruck zweckloser, eitler Müßigkeit. Von der Kritik
unbarmherzig mißhandelt, wirkten die Romane der Gräfin fast wie Sa-
tiren, sie stärkten den Adelshaß in dem demokratischen jungen Geschlechte.
Hoch über diesen beiden vielgenannten Gegnerinnen stand, noch wenig
beachtet, Annette Droste-Hülfshoff, unter Deutschlands schriftstellernden
Frauen das stärkste Dichtertalent, dem nur leider die künstlerische Durch-
bildung fehlte. Unier den Vorkiekern des Münsterlandes war sie geboren,
unter den schweigsamen, blaßblonden, träumerisch blickenden Niedersachsen,
denen die Gabe des zweiten Gesichts beschieden ist; dann verbrachte sie
fast ihr ganzes Leben in romantischer Einsamkeit auf dem Rüschhaus und
anderen stillen Heideschlössern der Heimat, zuletzt auf der alten Mers-
burg am Bodensee, bei ihrem Schwager, dem letzten Ritter des heiligen
römischen Reichs, dem sagenkundigen Freiherrn v. Laßberg') — eine jener
hohen, edlen Frauen, die überall Liebe und Verehrung finden, ohne die
Leidenschaft eines Mannes zu reizen. Von nonnenhafter Zartheit lag
gar nichts in ihrem freien, starken Geiste; sie scheute den derben Humor so
wenig wie den Ernst der Forschung oder die Pein des Zweifels und kehrte
erst nach schweren innern Kämpfen zurück zu der katholischen Gesinnung,
die ihr in die Wiege gebunden war. Mit ihrem Landsmann Freiligrath
*) S. o. III. 699.