Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

192 V. 6. Wachstum und Siechtum der Volkswirtschaft. 
und Gesangvereine, in denen sie noch ihre vaterländischen Erinnerungen 
pflegten, bedeuteten für die Politik gar nichts. Gerade in diesen Jahren 
zeigten die Yankees den deutschen Einwanderern fast nur Hohn und 
Verachtung. 
In Deutschland war man noch fast ratlos. Einige Redner in den 
süddeutschen Kammern empfahlen zwar die Auswanderung als letztes 
Heilmittel wider die angeblich drohende Übervölkerung. Mehrere be- 
drängte Gemeinden in Sachsen, Hessen, Baden gaben ihren Armen sogar 
Reisegeld und Wegzehrung für die Fahrt nach dem gelobten Westen. Die 
Regierungen aber erkannten, welchen unersetzlichen Verlust das Vaterland 
durch die Auswanderung erlitt, und Minister Bodelschwingh sagte ge- 
radezu: wir dürfen dies nationale Unglück mindestens nicht fördern. 
Andererseits fühlten sie alle, daß sie den unbändigen Wandertrieb nicht 
hemmen, höchstens die Agenten, deren verlockende Anzeigen schon in jedem 
Dorfwirtshause Süd= und Mitteldeutschlands aushingen, schärfer be- 
aufsichtigen konnten. Was sollte nun geschehen, um die Auswanderer zu 
beschützen und dem alten Volkstum zu erhalten? Eichhorn suchte die 
Frage in einer geistvollen Denkschrift zu beantworten (Febr. 1845). Der 
gewiegte Zollvereinspolitiker sah wohl ein, daß Deutschland ohne See- 
macht keine eigenen Kolonien erwerben konnte; trotzdem hoffte er, „die 
Auswanderung dem Vaterlande wieder nutzbar zu machen“, wenn sie, 
durch die preußischen Konsuln geleitet, sich in zusammenhängenden Massen 
ansiedelte und dann Kirche und Schule, unter Beihilfe des Mutterlandes, 
für die Erhaltung deutscher Sprache und Sitte wirkten. Selbst diese 
anspruchslosen Vorschläge schienen dem Auswärtigen Amte gefährlich, und 
leider waren seine Bedenken nicht ohne Grund. Niemand kann zwei 
Vaterländer haben, und es frommte wahrlich nicht, den Deutschen, die 
schon daheim in so unklaren politischen Verhältnissen lebten, den Ernst 
des Staatsgedankens noch mehr zu verdunkeln. Jede Nationalität wird 
zum Zwitter, wenn sie sich von ihrem Staate löst; über die abtrünnigen 
Söhne des Vaterlandes, die freiwillig amerikanische Bürger wurden, 
durfte Preußen keinerlei Schutzrecht ausüben, sobald die Unionsregierung, 
wie sich leicht voraussehen ließ, Einspruch erhob. 
Verwandte Gedanken regten sich unter den Auswanderern selbst. 
In Texas entstand ein freimaurerischer Orden Teutonia, der seine Mit- 
glieder zur Wahrung der nationalen Eigenart verpflichtete. Ein höheres 
Ziel setzte sich der „Verein zum Schutze der deutschen Einwanderung in 
Texas“; er hoffte eine selbständige Kolonie, vielleicht gar einen deutschen 
Staat zu gründen, weil Texas, von Mexiko losgerissen, noch nicht zu 
fester politischer Ordnung gelangt war. Die Herzoge von Nassau, Ko- 
burg, Meiningen, der Fürst von Rudolstadt, der Landgraf von Hom- 
burg sowie neunzehn Fürsten und Grafen vom mediatisierten Reichsadel 
gehörten ihm an; Fürst Leiningen, der vielgeschäftige Stiefbruder der
	        
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