Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

496 V. 6. Wachstum und Siechtum der Volkswirtschaft. 
Die Folge war, daß nach schweren Verlusten das Privatkapital sich scheu 
zurückzog und alle Börsen über Geldmangel klagten. 
Trotzdem schritt der Bahnbau vorwärts. Bis zum Jahre 1847 
wurden in Preußen 280 Meilen Eisenbahnen eröffnet und der Staat über- 
nahm eine Zinsbürgschaft für 29 Mill. Tlr. Es wurden vollendet oder 
der Vollendung nahe gebracht die großen Linien nach Stettin, nach der 
schlesisch-österreichischen Grenze, nach Sachsen und weiter westlich durch 
Thüringen. Nachdem Mecklenburg und Hamburg einen beträchtlichen Teil 
des Anlagekapitals — weit mehr als Preußen selbst — übernommen hatten 
und der kleinliche Widerspruch der Krone Dänemark endlich überwunden 
war, kam auch die Berlin-Hamburger Bahn zu stande. Besondere Schwie- 
rigkeiten bereitete die wichtige Verbindung Berlins mit den westlichen 
Provinzen. Ein Glück nur, daß im braunschweigischen Finanzwesen der 
rührige Direktor v. Amsberg fast unumschränkt schaltete. Der hatte schon 
seit den zwanziger Jahren, weit vorausschauend, große Pläne für ein 
nordwestdeutsches Eisenbahnsystem begonnen und dann, als er bei dem 
welfischen Königshofe nichts durchsetzen konnte, im Jahre 1838 die erste 
deutsche Staatsbahn, Braunschweig-Wolfenbüttel-Harzburg, gegründet. 
Die Bahn blühte schnell auf in dem verkehrsreichen Ländchen und bil- 
dete den Stamm der großen Straße zwischen Spree und Rhein. Im 
Osten schlossen sich preußische Linien an; es waren, nach der Weise dieser 
Zeit, mehrere kleine Gesellschaften, die sich erst mühsam untereinander 
verständigen mußten: die Magdeburg-Halberstädter und die bis nach Mag- 
deburg ausgedehnte Berlin-Potsdamer Bahn. Im Westen trat Hannover 
hinzu. König Ernst August sträubte sich lange, doch sobald er die Not- 
wendigkeit erkannte, betrieb er den Bahnbau mit gewohnter Tatkraft und 
bestand nur noch darauf, daß die Linie recht viel hannoversches Land durch- 
schneiden müsse. Preußen forderte eine Bahn von Hannover nordwestwärts 
über Neustadt, damit von Nienburg aus eine Zweigbahn nach Bremen er- 
baut und Westfalen also auf dem kürzesten Wege mit dem Weserplatze 
verbunden würde. Dem widersprach der Welfe; er verlangte die südliche 
Linie Hannover-Minden, um nachher von irgend einer hannoverschen Sta- 
tion aus eine sehr unbequeme, aber sehr lange und rein-welfische Bahn 
nach Bremen bauen zu können. Da man den störrischen Alten weder 
zwingen noch überzeugen konnte, so gab Preußen schließlich nach und be- 
willigte die Linie Braunschweig-Hannover-Minden.*) Daran schloß sich 
endlich die große Bahn von Minden nach Köln. So geschah es, daß die 
gewerbreiche Provinz Westfalen, deren Volksmann Harkort schon vor 
langen Jahren für den Bahnbau gekämpft hatte, erst sehr spät, seit 1847 
in den großen Eisenbahnverkehr eintrat. Ihre Fabriken und Bergwerke 
hatten unter der langen Säumnis schwer gelitten. 
*) Berichte an den König, von Thile, 3. März 1842, von Bodelschwingh, 29. März 
1843, von Flottwell und Canitz, 30. Okt. 1845.
	        
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