Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Eisenbahnen in den kleinen Staaten. 499 
Privatkapital sich mutlos zeigte. Sie verfuhr fortan mit großem Eifer, 
erklärte sich entschieden gegen „die Korruption, die neue Feudalität“ der 
Privateisenbahnen und wagte sogar, wenige Meilen von der Linie Augs— 
burg-Lindau eine Parallelbahn Ulm-Friedrichshafen zu bauen, damit 
Bayern den Verkehr des Bodensees nicht an sich risse. Auch in Bayern 
vermochten die kleinen Gesellschaften, welche die Teilstrecken der Linie 
Augsburg-Hof übernommen hatten, sich nicht zu halten, und der Staat 
mußte selbst eintreten; nur die wohlhabenden, unternehmenden Pfälzer 
bauten sich ihre Bahnen durch Privatgesellschaften. 
Die sächsische Regierung, die auf diesem Gebiete die reichsten Er- 
fahrungen besaß, wollte sich zunächst die Vorteile des Durchfuhrverkehrs 
sichern und entwarf einen wohldurchdachten Plan für Bahnverbindungen 
mit Schlesien, Böhmen, Bayern; doch selbst in diesem gewerbreichen Lande 
konnte das Privatkapital nur die einträgliche Leipzig-Dresdner Linie, nicht 
die anderen minder ergiebigen Bahnen festhalten, und nach einigen Jahren 
sah sich der Staat auch hier gezwungen, die Neubauten zu übernehmen. 
Hannover dagegen besaß, dank seiner erleuchteten Handelspolitik, noch gar 
keine großen industriellen Kapitalien und mußte daher von Haus aus den 
Staatsbau wagen. Er wurde eifrig, aber planlos betrieben; die beiden 
wichtigen Bahnen von Hamburg und Bremen mündeten nicht in der Haupt- 
stadt, sondern einige Stunden entfernt in Lehrte und Wunstorf. Man 
wußte noch nicht und konnte nur durch die Erfahrung lernen, was ein 
Knotenpunkt im Bahnverkehr bedeutet. Die Kurhessen trugen sich schon seit 
vielen Jahren mit großen Bauplänen, sie hofften, daß Kassel den Mittel- 
punkt des deutschen Eisenbahnnetzes bilden sollte. Der Prinzregent aber 
verzögerte alles durch Trägheit und bösen Willen. Endlich durfte eine 
Aktiengesellschaft zur Verbindung von Thüringen und Westfalen zu- 
sammentreten; sie gewann die Gnade des Landesherrn, weil sie den stolzen 
Namen der Friedrich-Wilhelms-Nordbahn annahm. Die Main-Weserbahn 
zwischen Kassel und Frankfurt sollte auf Staatskosten, gemeinsam mit 
Hessen-Darmstadt, gebaut werden; der Landtag bewilligte dazu eine An- 
leihe von 6 Mill. Tlr. Das Haus Rothschild, das diese Anleihe aufzu- 
legen hatte, überschritt die vereinbarte Summe um 750 000 Tlr. und 
beanspruchte diesen Überschuß von 12½ Prozent für sich selbst als sauer 
verdiente Provision. Es war ein öffentliches Geheimnis, wie der preu- 
ßische Gesandte Graf Galen sagte, daß der getreue Hofbankier sich mit dem 
Kurprinzen in den Gewinn teilte, „daß auf Kosten des Landes der Regent 
in jüdischer Gemeinschaft gute Geldgeschäfte machte.““) Darum richtete 
der ehrliche Abgeordnete Wippermann nichts aus, als er in der Kammer 
den Gaunerstreich Rothschilds zur Sprache brachte. 
Von Kiel nach Altona beförderte die königlich dänische Post auf der 
  
*) Galens Bericht, 1. Juli 1846.
	        
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