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drei Republiken — die Bürgerschaft. Diese Einzelherrscher im Reiche
sind nun als solche auch zu eigener Herrschaft am Reiche berufen:
die Reichsgewalt steht der Gesamtheit der Träger der Einzelstaats-
gewalten, also der zweiundzwanzig deutschen Monarchen und der
drei Bürgerschaften der freien Städte, zu einem kleinen Theile dem
Kaiser zu.!) Nicht ist das Reich eine Monarchie ?2); man hat es viel-
mehr mit Recht eine konstitutionelle Aristokratie 3) oder eine Pleon-
archie genannt.*) Der Träger der Reichsgewalt ist als solcher nie
zur Ausübung seiner Gewalt zugelassen; er übt diese nur durch seine
Organe, vornehmlich durch das Kollegium des Bundesraths und durch
den Kaiser aus. Auf die rechtliche Konstruktion der Antheilschaft an
der Reichsgewalt wird in der folgenden Darstellung des Näheren
einzugehen sich Gelegenheit finden.
VIH. Wir treten nunmehr an die Hauptaufgabe dieses Ab-
schnittes heran, zu untersuchen, welchen Einfluss das Interregnum
im Gliedstaate auf dessen Rechtsbeziehungen zum Reiche ausübt.
1. Die erste Frage, die uns hier begegnet, ist die: wird durch
das Interregnum im Gliedstaate die Existenz des Reiches, sein Staa-
tenbestand und die Zugehörigkeit des Gliedstaates zum Reiche be-
rührt? Die Frage ist nicht müssig; denn da das Wesen des Inter-
regnums im Wegfalle des persönlichen Trägers der Staatsgewalt be-
steht, ohne dass an dessen Stelle sofort eine ihm gleichwerthige Per-
sönlichkeit tritt, da andererseits der Träger der Gliedstaatsgewalt
als solcher Mitträger der Reichsgewalt ist, so wirkt der Eintritt des
Interregnums doch unzweifelhaft den Fortfall auch eines der zwei-
undzwanzig monarchischen Antheilnehmer an der Gewalt des Bundes-
staats. Jene Frage ist nun mit Entschiedenheit zu verneinen. Wir
haben oben des Näheren nachgewiesen, dass das Interregnum die
Existenz des Staates als solehen nicht beeinflusst. Nun besteht aber
das Reich aus Staaten, sein Zweck und seine Grundlage ist die
1) G. Meyer a. a.O. und die dort Citirten. Im Wesentlichen auch überein-
stimmend Lasanp I. S. 89 und bei Marquardsen II. 1. S. 19ff.; Zorn, Staats-
recht 1. S. 61 ff., Zeitschr. f. d. ges. Staatswissensch. XXXVII. S. 317£.; Rosın in
Hirths Annalen (1883) S. 304.
2) So BLuntscaLi, Staatslehre S. 312.; v. Mon, Reichsstaatsrecht S. 38 ff., 49 f.
Im Wesentlichen kommen auch die Ausführungen bei v. KıiRCHENHEIM, Regent-
schaft S. 131ff. darauf hinaus. S. aber jetzt Lebrbuch des deutschen Staats-
rechts S. 280.
3) G. Meyer, Grundzüge des norddeutschen Bundesrechts S. 65; Bınnına
im Jahrb. f. Gesetzgebg., Verwaltg. und Volkswirthsch, V. S. 377.
4) ZORN 8.8.0. S. 62.
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