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1. Entscheidung bei Streitigkeiten zwischen
verschiedenen Bundesstaaten. Art. 76 Abs. 1
d. RV.
Art. 76 Abs. 1d. RV. weist dem Bundesrat das Recht zu,
„Streitigkeiten zwischen verschiedenen Bundesstaaten, sofern die—
selben nicht privatrechtlicher Natur und daher von den kompe—
tenten Gerichtsbehörden zu entscheiden sind, auf Anrufen des
einen Teiles zu erledigen.“ Damit ist der Bundesrat an die
Stelle der Austrägalinstanz des alten Deutschen Bundes
getreten 79).
Nach dem Wortlaut des Art. 76 muß es sich um „Streitig-
keiten“ handeln, nicht um bloße Meinungsverschiedenheiten.
Ist ein gütlicher Ausgleich nicht möglich, so bleibt kein anderes
Mittel als das völkerrechtliche des Krieges übrig. Diese Art
der Erledigung ist aber den Einzelstaaten untersagt. Ihnen
steht das Recht der selbständigen Kriegführung nach der Ver—
fassung nicht zu, da einerseits, Krieg und Frieden zu erklären,
nur eine Befugnis der Gesamtheit, nicht auch der Einzelnen
ist 0), und andererseits im Falle eines Krieges die gesamte be-
waffnete Macht unter den Oberbefehl des Kaisers tritt #1).
Welcher Art die Streitigkeiten sind, ob sie sich auf Verträge
oder sonstige Rechtstitel stützen, ob der Anspruch obligatorischer
oder wie bei Grenz= und Territorialstreitigkeiten dinglicher Art
ist, bleibt vollkommen gleichgültig. Selbst solche Fälle sind dar-
unter begriffen, in denen der eine Staat durch sein beleidigendes
Verhalten den Anspruch des anderen auf Genugtuung und
Sühne begründet hat s2).
Weiterhin findet Art. 76 Anwendung nur bei Streitig-
keiten, die nicht privatrechtlicher Natur sind. Klagen rein pri-
vatrechtlicher Natur also, die ein Staat gegen einen anderen
79) Laband, Staatsrecht, Bd. 1. S. 269.
80) Art. 11 d. RV.
81) Art. 63 d. RV.
82) Vgl. Haenel, Staatsrecht, S. 574.