VI. Buch. Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik. 10
fundierte Einkommen oder zur Forderung der Verbindung stärkerer Bermögens- und
Erbschaftssteuern mit der Einkommenbesteuerung. Dies gilt vor allem für die wohl-
habenderen Klassen, vollends für die oberen 10 000, deren Quote von der Bevölkerung
aber im Industrieftaatssystem selbst wächst, um die Besteuerung der Leistungsfähigkeit
mehr anzupassen. Es führt auch zu Forderungen, welche über diejenigen noch hinausgehen,
die nur eine Ausgleichung der mehr oder weniger umgekehrt progressiv treffenden Wir-
kungen der schweren indirekten Verbrauchssteuern aufzustellen sind, gerade auch aus sozial-
politischen Gesichtspunkten. Das wurde früher selbst unter den Theoretikern nicht genügend
beachtet, ja vielfach kaum erfaßt, sogar bestritten. Die staatsmännische Prazis hatte noch
weniger Empfindung und Verständnis dafür. Das war ein Hauptmangel der Bismarck-
schen Steuerpolitik, ift in weiten Kreisen noch jetzt der Fehler der Auffassung, doch hat,
wie die vorausgehende Theorie, so auch die Prazis der Gesetzgebung bei uns seit der
Miquelschen Reform, wenn auch immer noch vielfach zagend und ängstlich, im letzten
Menschenalter die richtigere Einsicht zu gewinnen begonnen, so in den Bülow-Sydowschen
KReformvorschlägen von 1908/09 und in der jüngsten Reichssteuerreform von 1913.
So endet dieser letzte 25jährige Zeitraum gerade auf finanziellem Gebiete schon mit
einem wesentlichen Fortschritt, wozu auch die Neugestaltung und Verstärkung der Staats-
schuldentilgung gehört. Das läßt uns hier einen günstigen Ausblick auf die Zukunft ge-
winnen. Da wird man in der Finanz- und namentlich Steuerpolitik klarer, bewußter und
mutiger ein Hauptgebiet zugleich der allgemeinen Wirtschafts- und Sozialpolitik und der ge-
samten Staatspolitik erkennen und wird die Besteuerung einen ausgeprägteren sozialen
Charakter annehmen. Dies nicht mit dem unrichtigen unerreichbaren Ziel, im Rahmen der
privatwirtschaftlich organisierten Volkswirtschaft die indirekten Verbrauchssteuern ganz
zu beseitigen, aber wohl, sie mannigfach umzugestalten, vor allem ihren Schwerpunkt in
die Getränke- und Tabakbesteuerung zu legen, wie nach britischem Muster, aber sie durch
richtige, direkte Steuern, oder, wie die Erbschaftssteuer, als solche wirkende, und die höhe-
ren und vollends reichen und die am meisten von der modernen technisch-wirtschaftlichen
Entwickelung profitierenden Klassen und einzelne Kapitalisten- und Unternehmerkreise
treffende Steuern zu ergänzen. Auf dem Gebiete der Kommunalbesteuerung liegen in
dieser Richtung noch mehr Aufgaben vor als auf dem der Staatsbesteuerung. Doch auch
Hier sind mit der Besteuerung nach dem gemeinen Wert und der Wertzuwachssteuer die
Bahnen sozialer Steuerreform bereits beschritten, auf denen nur folgerichtig und mutig
und ohne stete, übermäßige Rücksicht auf die Privatinteressen des Grundeigentums,
besonders des städtischen, weitergeschritten werden muß.
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