Full text: Deutsches Kolonialblatt. XIX. Jahrgang, 1908. (19)

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lauf die Urbevölkerung oder durch Erlaß von allen 
'möglichen Verordnungen nun die ganze Natur 
dieser Leute binnen kurzem würde umändern 
können. Ich kann es diesen Herren nicht ver- 
denken, wenn sie von ihrem Standpunkte aus den 
Wunsch hegen, daß nun solche Maßregeln ergriffen 
werden; denn es handelt sich ja für sie nicht wie 
für das Deutsche Reich darum, auf eine plan- 
mäßige Weise einen wichtigen Zugang zu den 
Aktiven der Nation zu erhalten, sondern für sie 
handelt es sich darum, in verhältnismäßig kurzer 
Zeit Geld zu verdienen. Zu lange können sie 
nicht draußen existieren und je mehr sie erwerben, 
um so besser. An den Lasten, die uns Kriege und 
Aufstände bringen, tragen sie zudem nicht mit. 
Auf der anderen Seite muß die Reichsverwaltung 
— die ja dafür eingesetzt ist, diese Länder zu 
entwickeln, den Austausch solcher Güter, die in 
Deutschland entweder erzeugt oder verbraucht 
werden, zu fördern — sich auf den Standpunkt 
stellen, daß sie in erster Linie die Hüterin der in 
den Kolonien gültigen Rechts= und Staatsinsti- 
tutiomen ist, daß sie demnächst darüber wachen 
muß, daß die finanziellen Opfer für die Kolonien, 
welche das Reich bringt, in verständigen Grenzen 
bleiben; drittens, daß sie die einzige bisher existie- 
rende Instanz ist, die in der Lage ist, die Rechte 
der Eingeborenenbevölkerung, die ja doch auch 
estehen, währzünehmen. Und wenn ich deshalb 
bei manchen dieser Wünsche und Beschwerden, die 
an mich gekommen sind, mich auf den Standpunkt 
stellen mußte: „Nein“ oder „Noch nicht"“, so muß 
man daraus nicht entnehmen, daß ich etwa un- 
freundlich oder ablehnend oder voreingenommen 
bin, sondern daß ich lediglich das Tempo nicht 
billigen kann, in dem man einer Bevölkerung, die 
Tausende von Jahren in einem anderen Kultur- 
zustande war, eine andere Art von Rechtsauffassung, 
von Familienverhältnissen und Arbeitsmethode bei- 
bringen will. Da muß man andere Wege gehen, 
wenn man nicht die schönen, von meinen Vor- 
gängern und allen deutschen Beamten in den 
Kolonien erzielten Resultate durch gewaltsame, 
unnatürliche, aufgepfropfte Versuche in Frage 
stellen will. (Bravol) 
Das ist der Revers dieser Medaille. Eine 
Vergleichung beider Seiten sollte uns wieder auf 
den Boden der nüchternen Erwägungen führen, 
die ja in dieser Kommission grundsätzlich gepflegt 
werden müssen. Wenn ich nun von Ostafrika 
selbst spreche, so ist den Herren bekannt, daß ich 
dorthin eine Reise gemacht und daß ich mich nicht 
mit dem begnügt habe, was man dort gewöhnlich 
zu sehen bekommt, sondern daß ich mir gesagt 
habe: willst du einen Einblick in das Land haben, 
wie es in seiner großen Masse ist, dann darsst du 
nicht an der Küste bleiben, sondern mußt dich so- 
  
  
weit als möglich in das Innere des Landes be- 
geben. Die Reise war nicht übermäßig lang. 
Ich habe aber doch in dreißig Tagen von Muanza 
nach Tabora und zurück ein gutes Stück Ostafrika 
gesehen, besonders da ich für Hin= und Rückreise 
verschiedene Routen gewählt hatte. Ich habe 
mich mit den dortigen Produktionsmethoden be- 
faßt, ebenso wie ich mich sehr ausführlich mit den 
Produktionsmethoden der Europäer an der Küste 
abgegeben habe. Ich glaube über beide ein sach- 
verständiges Urteil gewonnen zu haben, soweit es 
sich ein volkswirtschaftlich vorgebildeter Mensch, 
der das kleine Einmaleins kennt, überhaupt in so 
kurzer Zeit bilden kann. Ich kann mich selbst- 
redend auch irren. Aber im allgemeinen glaube 
ich, daß ich mehr und besseres aus eigener An- 
schauung gesehen habe, als die allermeisten der- 
jenigen, die über Afrika schreiben und die der öffent- 
lichen Meinung ihre Autorität aufzwingen wollen. 
H.! Ich stelle den Satz an die Spitze, 
den die Petition der Farmer in Ostafrika auch 
trägt, nämlich daß das wichtigste Aktivum in 
Afrika der Eingeborene ist. Da kommt es 
nun darauf an, einmal festzustellen: wie ist denn 
die Situation der Eingeborenen da draußen? 
Jede Betätigung des Weißen führt ihn natürlich 
mit dem Schwarzen zusammen. Nur mit ihm 
kann er seinen Boden bestellen lassen und nur 
mit ihm den Handel betreiben. Ohne ihn wäre 
jede Kolonisation Ostafrikas ganz ausgeschlossen. 
Wie aus einem Zusammenleben von Weißen und 
Schwarzen dort allein eine Blüte entstehen kann, 
so liegt auch überall, wo das Zusammentreffen 
stattfindet, der Keim größerer Konflikte — sowohl 
für die Beziehungen der Regierung zu den 
Schwarzen, als auch für die aller anderen Stände: 
der Farmer und Pflanzer, der Kaufleute, selbst 
der Missionare. 
Die Beziehungen der weißen Regierung zu 
den schwarzen Schutzgenossen und das Maß ihres 
Einflusses richtet sich stark nach örtlichen Um- 
ständen. Sie wissen, daß wir in den volks- 
reichsten und wahrscheinlich auch viehreichsten 
Teilen des ostafrikanischen Schutzgebietes so gut 
wie gar keine Macht ausüben, z. B. über das 
ganze Land Ruanda und Urundi. Diese Pro- 
vinzen sollen ungefähr fünf Millionen Einwohner 
haben und sehr wohlhabend sein. In Ruanda 
wird jetzt der Versuch einer Residentur gemacht, 
lediglich der Versuch. Wir glauben einen sehr 
geeigneten Mann in Dr. Kandt gefunden zu 
haben, der diesen Versuch machen kann. Aber 
von einem Erwerb dieser beiden Länder für die 
Kolonie Ostafrika, für Deutschland, ist vorläufig 
weder materiell noch politisch die Rede. Das 
bezieht sich aber auf ungefähr die Hälfte der 
sämtlichen in diesem Lande ansässigen Einwohner.
	        
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