Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

594 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. 
ihres unverbildeten Gemüthes den teutonischen Schwärmern an, Binzer 
und Lornsen standen unter den Führern der Burschenschaft. 
Der Widerstand gegen die dänischen Uebergriffe ging zunächst von der 
Kieler Universität aus. Zum zweiten male seit der Stiftung des Deut- 
schen Bundes trat das Professorenthum auf die politische Bühne; doch 
während die Jenenser Gelehrten in ihrer Isis und Nemesis neben manchen 
guten Gedanken auch viele Thorheit zu Tage förderten, war der politische 
Kampf der Kieler Professoren durchaus berechtigt und heilsam. Sie weckten 
dem schlummernden Volke der deutschen Nordmark das helle Bewußtsein 
seines Volksthums; sie gaben, indem sie das historische Recht vertheidigten, 
der nationalen Bewegung in Schleswigholstein jenen Charakter besonnener 
Mäßigung, der sie so auffällig von den anderen nationalen Erhebungen 
des Jahrhunderts unterscheidet. Das Haupt dieser streitbaren Gelehrten 
war Dahlmann. In Wismar als schwedischer Unterthan geboren, hatte 
er den Unsegen der Fremdherrschaft von Kindesbeinen an kennen gelernt 
und hoffte schon damals, daß ganz Schleswigholstein dereinst in den Deut- 
schen Bund eintreten werde. Zugleich wünschte er, dies geliebte Land, das 
ihm theurer war als seine Heimath, möge den Deutschen vorangehen mit 
dem Beispiele einer wohlgeordneten, auf dem festen Grunde des histori- 
schen Rechtes stehenden Repräsentativverfassung, wie er sie selber soeben in 
seinem „Worte über Verfassung“ geschildert hatte: denn nirgends sei der 
Boden so günstig für ein solches, dem englischen verwandtes Staatswesen, 
wie bei dem Sachsenstamme, „dem volksfreiesten von Altersher in Deutsch- 
land"“. Aber nicht von fern dachte er an eine Trennung von Dänemark. 
Die Verschiedenheit des Erbfolgerechts in den Theilen des dänischen Ge- 
sammtstaates hatte zur Zeit noch kein deutscher Gelehrter ernstlich erforscht; 
die Frage schien ohne praktischen Werth, da das königliche Haus noch 
genug männliche Nachkommen besaß. Nun gar eine gewaltsame Losreißung 
wäre diesem abgesagten Feinde der Revolution ein Gräuel gewesen. Gemessen 
und ernsthaft in Allem, eine erwägsame niederdeutsche Natur, ein makel- 
loser, der Eitelkeit wie der Menschenfurcht gleich unzugänglicher Charakter, 
erschien er den Freunden schon jetzt in seinen jungen Jahren wie ein treuer 
Eckart, und nur durch die ungeheure Rechtsverwirrung in den norddeut- 
schen Kleinstaaten ward es möglich, daß dieser Mann zweimal, in Schles- 
wigholstein und Hannover, als ein Revolutionär verrufen werden konnte. 
Was er für Recht erkannt hatte, das vertheidigte er mit dem Freimuthe 
des guten Gewissens, mit einer markigen, eindringlichen Beredsamkeit, die 
ihre Wirkung nie verfehlte, weil sie aus den Tiefen eines gesammelten 
Gemüthes aufstieg. 
Nicht ganz ohne Grund höhnten späterhin die Dänen, Dahlmann 
habe die schleswigholsteinische Frage erfunden; denn sein Wort über Ver- 
fassung gab den Gebildeten des Landes zuerst wieder ein Verständniß für 
die halbvergessene Verfassungsgeschichte der Heimath. Dann veröffentlichte
	        
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