232 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.
Minister, der ihn sehr weit übersah, keinen wirklichen Einfluß gewinnen;
und also ganz vereinsamt mußte Eichhorn, je heftiger die Tagesmeinung
wider ihn anbrauste, nur um so tiefer in die einmal eingeschlagene Rich—
tung hineingeraten.
Die Berufungen neuer Lehrkräfte waren allesamt unter des Mi—
nisters eifriger Mitwirkung, zum Teil auf seine Anregung zu stande
gekommen; doch man dankte ihm für dies große Verdienst nur wenig,
weil er von vornherein, allem akademischen Brauche zuwider, in die kleinen
und kleinsten Angelegenheiten der Universitäten herrisch eingriff. Noch
in den ersten hoffnungsvollen Monaten der neuen Regierung taten sich
etwa 150 Hallenser Studenten, unter der Führung des wackeren jungen
Theologen Rudolf Haym, zusammen, um den König, ihren Rektor, in
einer kindlich ehrerbietigen Adresse zu bitten, daß er D. F. Strauß nach
Halle berufen möge. Das Unternehmen mußte jedem, der die Meinungen
des Monarchen kannte, wunderbar naiv erscheinen und war ebendeshalb
unzweifelhaft harmlos; die jungen Leute gaben einfach ihrer Begeisterung
für den Verfasser des Lebens Jesu einen etwas vorlauten Ausdruck. Auf—
gestachelt waren sie nicht; der alte Rationalist Gesenius hatte sogar väter—
lich abgemahnt.“) Dem Mirnister aber erschien die Bittschrift wie eine
atheistische Freveltat, und er ruhte nicht, bis der akademische Senat
die bereits gegen die Urheber verhängten Strafen noch verschärfte, worauf
sich dann unausbleiblich ein gehässiger Zeitungskampf entspann. Ebenso
hart beurteilte er die Königsberger Studenten, die den armen Hävernick
ausgescharrt hatten, und der Senat der Albertina beschwerte sich bei dem
Könige, natürlich umsonst, über den Minister.
Seitdem stand die Meinung fest, „das Eichhörnchen“ begünstige überall
den Pietismus, und bei der gereizten Stimmung der Zeit konnte es nicht
ausbleiben, daß die Gegenpartei sich zu manchen Ungerechtigkeiten hinreißen
ließ. Der Berliner akademische Senat verbot den Studenten aus Hengsten-
bergs Schule, einen Verein zum Historischen Christus zu bilden; er be-
gründete das Verbot mit der offenbar höhnischen Erklärung, sonst müßte
man auch antichristliche Vereine gestatten, und der Minister sah sich ge-
nötigt, diesmal zum Schutze der akademischen Freiheit einzuschreiten.
Strafen und Entlassungen, die unter Altenstein nur selten vorkamen,
wiederholten sich häufig und sie wurden allesamt als Zeichen der neuen
Gewissenstyrannei angesehen. Man schalt sogar, als dem Bonner Privat-
dozenten Bruno Bauer die Erlaubnis zum Lesen entzogen wurde. Der
hatte in seiner Kritik der synoptischen Evangelischen den Boden des
positiven Christentums so gänzlich verlassen, daß die Theologie, die doch
keine reine Wissenschaft ist, ihn unmöglich noch in ihren Reihen dulden
konnte. Der Minister ließ sich, bevor er einschritt, gewissenhaft von allen
*) Ich benutze hier eine freundliche Mitteilung von R. Haym.