Full text: Deutsches Kolonialblatt. XIX. Jahrgang, 1908. (19)

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haber“ und nicht als. Unterdrücker müssen 
wir uns vorstellen. Wir können nicht bei den 
mühevollen Arbeiten unmittelbarer Bewirtschaftung 
an seine Stelle treten, das Klima verbietet es 
uns; was wir tun können und müssen, ist mit 
ihm arbeiten, indem wir ihn führen und zur 
Betätigung erziehen. Wir müssen im Austausch 
der Körperkraft, der Handarbeit, die er uns ver- 
schafft, ihm als Einlage in die Gesellschaft die 
Geldmittel, das Wirtschaftsgerät und die neuzeit- 
lichen Arten seiner Verwertung anbieten. Alles 
drängt uns diese Genossenschaft auf, sowohl der 
wirtschaftliche wie der politische Vorteil. 
Herr Le Myre de Villers sagte in seinem 
Berichte über den Haushalt der Kolonien von 
1901: „Die Verteidigung der Kolonien ist viel 
mehr eine Frage der Verwaltung und der Ein- 
geborenenpolitik als eine militärische Frage."“ 
Mehr als je ist das wahr. Es ist tatsächlich 
das von uns praktisch mit den Eingeborenen ge- 
schlossene sittliche Bündnis, aus dem wir das 
materielle Bündnis erwarten müssen, das auf 
einer vollkommenen Interessengemeinschaft beruht. 
Die Menschen aller Zeiten und aller Länder haben 
nur das zu bewahren, was ihnen nützlich und 
angenehm ist. Die Eingeborenen werden also 
unsere Macht erst von dem Tage an achten und 
demnach verteidigen, an dem ihnen durch eine 
folgerichtige und menschliche Politik mehr Gerech- 
tigkeit und mehr Wohlfahrt verschafft worden ist. 
Alles gebietet uns sonach diese Eingeborenen- 
politik: „sie ist zu gleicher Zeit eine Notwendig- 
keit wie eine Pflicht.“" Und treffend sind die 
Namen, mit denen man sie getauft hat: Ein- 
geborenenpolitik, Schutzherrschaft, Rassen- 
politik, Genossenschaftspolitik. 
Dieses Verwaltungssystem hat übrigens seine 
Probe in der Vergangenheit bei uns und bei 
unseren Nachbarn abgelegt. Die erhaltenen Er- 
gebnisse müssen eine Lehre für die Zukunft sein. 
Wenn auch die Erfolge, welche die kolonialen 
Versuche Englands gekrönt haben, zu einem 
gewissen Teile auf die vorherrschende Lage im 
Meere zurückzuführen sind, so ist doch ohne 
Zweifel der größte Teil der Weisheit des ange- 
wendeten Verfahrens zuzuschreiben. 
In erster Linie ist es der private, verständige 
und tätige Selbstantrieb, dem England sein 
Kolonialreich verdankt. Vom Augenblick seiner 
Ankunft auf der neuen Erde prüft der englische 
Ansiedler sein Selbstvertrauen; er untersucht ein- 
fach und praktisch die Sitten, Einrichtungen und 
die Überlieferungen ihrer Bewohner. Als letzter 
Ankömmling begreift er sofort, daß nicht die neuen 
Zustände sich ihm anzupassen haben, sondern, daß 
er im Gegenteil streben muß, sich ihnen zu nähern, 
sich in gewisser Weise zu „assimilieren“. Er 
  
denkt. gar nicht daran, von der Regierung seines 
Landes zu fordern, daß diese seiner neuen Heimat 
die Gesetze und Einrichtungen des Mutterlandes 
aufdränge. Auf sich selber rechnet er und nicht 
auf die allmächtige Verwaltung, über die der 
Franzose sich lustig macht und ohne die er nicht 
leben kann. Wiestellteres, nachdemergelandetist, an, 
sich den Boden, aus dessen Bewirtschaftung er 
Vorteil ziehen will, zu verschaffen? Das Ver- 
fahren ist einfach und praktisch: er wendet sich 
an den Eingeborenen und sichert ihm für das 
überlassene Gebiet eine Jahreseinnahme zu oder 
er zahlt auf einmal eine Geldsumme. Da es 
ihm nicht möglich ist, alles allein zu machen, 
zieht er den Eingeborenen in seine Unter- 
nehmung, er leitet ihn in seinen Arbeiten und 
sichert ihm einen Anteil am Gewinn. 
Die „Action coloniale- hat neulich eine lehr- 
reiche Übersicht veröffentlicht, deren Zahlen den 
Beweis für den Geist der Billigkeit und des 
wohlverstandenen Vorteils bilden, der das Zu- 
sammenarbeiten des Eingeborenen mit dem eng- 
lischen Ansiedler leitet. 
Das Goldförderungsgewerbe Südafrikas 
(Transvaal und Rhodesia) erzeugt jährlich 30 Milli- 
onen Pfund Sterling, 750 000 000 Franken, die 
in der Weltwirtschaft zu dem Satze von 75 v. H. 
für die Arbeit und 25 v. H. für die Vergütung 
und zur Tilgung des festgelegten Kapitals ver- 
teilt werden. 
Die 75 v. H., die für die Arbeit bestimmt 
sind, zerlegen sich folgendermaßen: 
28½ v. H. für die weißen Arbeiter (Ingenieure, 
Kommis und Arbeiter); 
25 v. H. für die farbigen Arbeiter; 
10 v. H. für die örtlichen Sprengstoffabriken; 
8 v. H. für Brennstoff, einschl. seiner Beförde- 
rung und für Eisenbahnangestellte; 
3½ v. H. für verschiedene Erzeugnisse: Cyanür, 
Lichte, Verbrauchsgegenstände usw. 
Jedes Jahr werden also Werte von 750 Mil- 
lionen Franken in irgend einer Form in die ge- 
werbliche Weltgemeinschaft eingeführt; davon 
nimmt der Eingeborene 140 Millionen vorweg, 
was ihm Wohlstand, selbst Reichtum und den 
Ansporn zur Arbeit verleiht. 
Das ist in die Praxis umgesetzte Genossen= 
schaftspolitik. Nur zwanzig Jahre waren nötig, 
um aus Südafrika eine neue Welt zu machen, 
„die mehrere Milliarden Franken für Maschinen 
und Waren an das alte Europa zahlt“. Wir 
haben nur nötig, bei uns selbst Umschau zu halten, 
um uns von der Wirksamkeit dieser Eingeborenen- 
politik zu überzeugen. Haben wir ihr nicht unsere 
Kolonisationserfolge in Algier und Tunis zu 
danken? Beginnt nicht die Entwicklung Indo- 
Chinas an dem Tage, wo aufgeklärte Geister,
	        
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