50 II. Teil. Heutige staatsrechtliche Stellung der Oberlausitz.
lösung derselben vom Staate Sachsen und somit die Gründung eines
besonderen Staates Oberlausitz voraussetzen. Es fragt sich, ob auf
diese Weise ein neuer Staat im Reiche ohne verfassungsänderndes Reichs-
gesetz entstehen kann. Allgemeiner gefaßt, lautet die Frage: ist es ein
Rechtssatz der Deutschen Reichsverfassung, daß das Reich aus den 25
im Artikel 1 der Reichsverfassung aufgeführten Staaten besteht d Würde
dies erwiesen sein, dann würde es sich von selbst ergeben, daß jede Der-
änderung in dem Mitgliederbestande, Derschwinden oder Entstehen von
Staaten im Zeiche, sich nicht ohne verfassungsänderndes Reichsgesetz voll-
ziehen könnte, und daß somit alle Thronfolgegesetze oder Staatsverträge
von Einzelstaaten (somit auch § 66 der Urkunde von 1859), welche die
Derschmelzung zweier Gliedstaaten des Reiches oder die Teilung eines
in mehrere bezwecken, aufgehoben seien. Völlig verneint wird diese
Frage von Laband.:) Nach ihm können innerhalb des Reiches, ohne
Zuthun desselben, Staaten entstehen und verschwinden, wenn nur dabei
das Reichsgebiet als solches bestehen bleibt. Wir müssen uns jetzt diese
höchst interessante, aber nicht ganz einfache Frage etwas näher ansehen.
— Das Deutsche Reich ist gegründet auf dem Fundamente der Einzel—
staaten, und zwar nicht blos in seiner geschichtlichen Entstehung, sondern
in seinem ganzen verfassungsrechtlichen Aufbau. Das Gebiet ist zunächst
Staatsgebiet und wird erst dadurch Reichsgebiet. Daß es auch unmittel-
bares Reichsgebiet giebt, bestätigt nur als Ausnahme die Regel. Man
wird zunächst Staatsangehöriger im Einzelstaate und dadurch erst mittel-
bar Reichsangehöriger. Das Reichsheer setzt sich aus den Kontingenten
der Einzelstaaten zusammen. Endolich erscheint die Summe der einzel-
staatlichen Regierungen, vertreten durch den Zundesrat, als Trägerin
der Staatsgewalt des Reiches. Aus alledem ergiebt sich, daß das Reich
ein wohlgegründetes Interesse daran hat, welche Staaten ihm als Glieder
angehören. Daraus folgt allerdings noch nicht ein Rechtssatz des In-
halts, daß der heutige Mitgliederbestand ein notwendiger sei. Aber
1) Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1888, 1. Band, S. 120 folgende.