Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Münsters Sturz. 157 
Ende zu machen, wählte der Arme die Begnadigung, obgleich er sich keiner 
Schuld bewußt war. Viele der Studenten betrachteten den Einzug der 
Truppen mit Selbstgefühl und rühmten sich: das ist schon gut genug, daß 
wir so viele Soldaten auf die Beine gebracht haben; durch die vorläufige 
Schließung der Universität wurden sie indes alle schwer bestraft. Die 
großen Tage der Georgia Augusta waren dahin, niemals konnte sie ihren 
alten aristokratischen Glanz wieder erlangen. 
Wohl mochte Jakob Grimm über diesen „dürren und widerwärtigen 
Aufstand“ klagen; dem Lande brachte der kindische Spuk doch Segen, denn 
er öffnete dem Generalgouverneur die Augen, den Bürgern die Lippen. 
Der gutmütige Herzog entdeckte mit einem Male, wie wenig er die Zu- 
stände gekannt hatte; er bereiste das Land, hörte in Münden die bitteren 
Klagen der zinspflichtigen Bauern, ließ sich von den Clausthaler Berg- 
leuten in rührsamen Versen schildern: wie schlecht man jetzt auf dem 
Harze lebt 
und mit tränenvollem Herzen 
trocknes Brot halb kalt genießt. 
Zugleich liefen aus Lüneburg, „der Erbstadt des Reichs“, und vielen an- 
deren Städten Bittschriften ein, die allesamt „eine freie Volksvertretung“ 
forderten; „so gewiß ein Gott über uns alle wacht“, schrieb der radikale 
Advokat Gans in Celle, „so gewiß wird auch für sämtliche Staaten 
Europas diese Herrlichkeit, diese Krone aller Wohlfahrt aufgehen.“ Hier 
wie in Sachsen verkettete sich mit der Volksbewegung ein Parteikampf 
innerhalb der Regierung. Der Minister Graf Bremer, Kabinettsrat 
Rose und die anderen arbeitenden bürgerlichen Räte waren es längst 
müde, von der Deutschen Kanzlei in London gegängelt zu werden, sie 
beschlossen, sich an den Monarchen zu wenden; aber noch ehe ihre Ver- 
trauensmänner bei Hofe eintrafen, hatte König Wilhelm schon den Vor- 
stellungen des Herzogs von Cambridge nachgegeben und die Entlassung 
des Grafen Münster verfügt (12. Februar). Die unheilvolle Doppel- 
regierung konnte freilich, solange die Fremdherrschaft bestand, nicht gänzlich 
verschwinden; an Münsters Stelle trat Ludwig von Ompteda, jener treue 
Mann, der in den napoleonischen Tagen so rastlos für die Befreiung 
Deutschlands gearbeitet hatte, ein ehrenhafter Aristokrat von gemäßigten 
Grundsätzen. Indes der Schwerpunkt des Regiments lag fortan in Han- 
nover, der Herzog wurde zum Vizekönig erhoben und mit erweiterter Voll- 
macht ausgestattet. 
Der Schöpfer der Welfenkrone ertrug seinen Sturz mit unverhohlener 
Entrüstung; die glänzenden Ehren, mit denen ihn der freundliche Monarch 
zum Abschied noch auszeichnete, vermochten nicht, ihn über den welfischen 
Undank, der doch fast unvermeidlich war, zu trösten. Auf Dr. Königs 
Schmähungen antwortete er mit einer „Erklärung“, die noch einmal das 
unermeßliche Selbstgefühl des welfischen Staatsmannes bekundete: nichts,
	        
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