Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

118 V. 2. Die Kriegsgefahr. 
Charakter aufgeprägt, der sie in der Zukunft auszeichnen würde.“ Seit— 
dem sei Nikolaus „für die Welt der Vertreter der monarchischen Idee, 
die Stütze der Grundsätze der Ordnung, der unparteiische Verteidiger 
des europäischen Gleichgewichts geworden,“ und, wenn auch oft gehemmt 
durch „die Furchtsamkeit“ seiner deutschen Verbündeten, doch endlich 1841 
dahin gelangt, das feindselige und verderbliche englisch-französische Bünd- 
nis zu sprengen. Über Rußlands orientalische Politik sagte er sehr deut- 
lich: „Indem Ew. Maj. sorgsam vermieden, sich durch eine Bürgschaft 
für den Länderbestand eines verfallenden Staates zu binden, um nicht 
im voraus die Zukunft Rußlands festzulegen, befolgten Sie immer den 
Grundsatz, für jetzt die Unantastbarkeit der ottomanischen Besitzungen zu 
wahren, da die Nachbarschaft dieses Staates, in dem Zustande verhält- 
nismäßiger Schwäche, worin ihn unsere früheren Eroberungen gelassen 
haben, unter den gegenwärtigen Umständen das für unsere politischen und 
Handels-Interessen günstigste Verhältnis darbietet. Sonderbare Wirkung 
des Wechsels, den das Glück in den gegenseitigen Beziehungen hervorge- 
bracht hat! Die Macht, die man früher als den natürlichen Feind der 
Türkei betrachtete, ist ihre festeste Stütze und ihr treuester Verbündeter 
geworden.“ Demgemäß hat Rußland zweimal den Sultan vor dem ägyp- 
tischen Rebellen gerettet. „Die zweite dieser Krisen, weniger glänzend 
vielleicht, hat besser gesicherte Ergebnisse herbeigeführt. Der Vertrag von 
Hunkiar-Iskelessi, wogegen Frankreich und England sich vergeblich verwahrt 
hatten, wurde scheinbar vernichtet, in Wahrheit unter einer anderen Form 
verewigt. Der neue, von allen Mächten anerkannte Vertrag, der an seine 
Stelle trat, untersagte den Kriegsschiffen die Einfahrt in die Dardanellen 
und sichert uns fortan gegen jeden Angriff von der Seeseite.“) 
Ganz so glänzend, wie diese prahlerische Denkschrift behauptete, waren 
Rußlands Erfolge nicht. Dem Zaren wurde freilich die Freude, daß der 
verhaßte Westbund sich eine Zeitlang spaltete; doch die Trennung war 
keineswegs unwiderruflich. Durch den Meerengenvertrag opferte der Peters- 
burger Hof zwar wenig oder nichts, da das Schwarze Meer jetzt fast so 
vollständig den Russen gehörte wie vor hundert Jahren den Osmanen; 
gleichwohl war seine Machtstellung in Pera erschüttert, der Diwan zeigte 
den unbedingten britischen Freunden mehr Vertrauen als dem trotz alles 
Selbstlobes immerdar zweifelhaften russischen Gönner. Und wie un- 
sicher blieb das neugegründete freundliche Einverständnis mit England. 
Nikolaus überhäufte den englischen Gesandten mit Artigkeiten und zeigte 
geflissentlich überall seine Vorliebe für britisches Wesen.*“) Solche gottor- 
pische Schauspielerkünste konnten doch den tiefen Gegensatz, welcher die 
beiden um Asiens Beherrschung ringenden Mächte trennte, nicht beseitigen. 
*) Nesselrode, Denkschrift über die auswärtige Politik i. d. J. 1825—50, St. Peters- 
burg, 20. Nov. a. St. 1850. S. Beilage 29. 
**) Liebermanns Berichte. 3. Sept. 1841 ff. 
 
	        
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