Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

202 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung. 
Forderung auf: daß die Kirche in der Schule aufgehen und mit dieser 
das Heerwesen sich verschmelzen müsse, dem Volke aber Selbstregierung 
und eigene Justiz gebühre. Das Programm der reinen Demokratie war 
verkündet. Auch die Zeitgedichte wählten die Person des Königs gern zur 
Zielscheibe; ein weit verbreitetes Ghasel des kosmopolitischen Nachtwächters 
höhnte: ein König soll nicht witzig sein, ein König soll nicht hitzig sein, 
nicht strenge gegen Itzig sein, „er wolle nicht in jedem Ding — hier 
schweig' ich — altenfritzig sein“. 
Diesen gewaltigen Ansturm der Opposition dachte Friedrich Wilhelm 
hochsinnig nur durch geistige Waffen abzuschlagen. Er verlangte von den 
Ministern und den Oberpräsidenten dringend, daß sie literarische Talente 
gewinnen, durch belehrende Leitartikel und rasche Bekanntmachung der 
Motive neuer Gesetze die Verdächtigungen bekämpfen sollten.“) Minister 
Eichhorn ging auf die Absichten des Monarchen eifrig ein, er dachte in 
Berlin und in jeder Provinz ein großes zuverlässiges und doch nicht un— 
freies konservatives Blatt zu gründen. Aber wie gänzlich war die Stim— 
mung im Lande umgeschlagen. Vor zehn Jahren hatte Preußen neben 
den beiden konservativen Zeitschriften Jarckes und Rankes keine einzige 
liberale Zeitung besessen, jetzt trug fast die gesamte Journalistik liberale 
Farben. Das Berliner politische Wochenblatt ging zu Neujahr 1842 ein. 
Die Zeitschrift war durch ihren legitimistischen ÜUbereifer sowie durch ihre 
geheimen Beziehungen zur russischen Gesandtschaft allmählich herabge- 
kommen,) und seit ihr rührigster Mitarbeiter Jarcke infolge des Kölner 
Bischofsstreites sich zurückzog, verlor sie Geist und Leben. Bald nach- 
her verschwanden auch die Berliner Jahrbücher für wissenschaftliche 
Kritik, das Organ der Althegelianer; sie konnten den Wettkampf mit den 
zeitgemäßen Schriften des philosophischen Radikalismus nicht mehr aus- 
halten. Als der Minister sie für die Regierung zu gewinnen suchte, lagen 
sie schon im Sterben. So galt es denn neue Blätter zu schaffen, da 
die Staatszeitung auch unter der Leitung des neu berufenen tüchtigen 
Publizisten Zinkeisen jene öde Langweiligkeit nicht ablegte, welche in 
Deutschland fast allen amtlichen Blättern anhaftet. 
Unbeirrt durch kleinliche Parteirücksichten, hoffte Eichhorn die besten 
Federn der Nation für eine freimütige Verteidigung der preußischen Politik 
zu gewinnen. Er wollte bei Karl Reimer, dem gleichgesinnten Sohne des 
kürzlich verstorbenen hochangesehenen liberalen Buchhändlers, eine Zeitung 
erscheinen lassen, und General Thile empfahl dem Könige für die Redak- 
tion Dahlmann, „einen Mann von tadelfreier Gesinnung, dessen Name 
in Deutschland einen guten Klang hat“.*) Als aber Dahlmann, wie sich 
*) Kabinettsordre an das Staatsministerium, 16. Jan.; Thiles Bericht, 25. Aug. 
1842. 
**) S. o. IV. 203. 
*??) Thiles Bericht an den König, 22. Sept. 1842. 
 
	        
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