Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Laubes und Gutzkows Dramen. 391 
Verstande lag die feine Pointe des Lustspiels näher als das tragische 
Pathos. Im Urbild des Tartuffe schilderte er geistreich, mit allem Auf— 
wande bühnengerechter heiterer Überraschungen, das Los des komischen 
Dichters, den alle loben, solange sie sich nicht selbst von den Pfeilen seines 
Witzes getroffen fühlen; in Zopf und Schwert ebenso lebendig, mit dick 
aufgetragenen Farben, den Gegensatz altpreußischer Soldatenderbheit und 
feiner moderner Weltbildung. In diesem vaterländischen Drama klang 
sogar zuweilen ein gemütlicher Ton warmer Berlinischer Heimatliebe 
durch; die grob gezeichnete Gestalt Friedrich Wilhelms J. war doch lebendig 
genug, um in preußischen Herzen ein Gefühl launigen Behagens zu er— 
wecken, und selbst die ängstliche Berliner Theaterzensur mußte endlich ein— 
sehen, daß die alte engherzige Vorschrift, welche die Person des Fürsten— 
hauses von den Brettern ausschloß, nur der Sache des Königtums selber 
schadete: wenn die großen Hohenzollern auf der Bühne erschienen, so 
wurden sie dem Volke doch ungleich verständlicher als durch Denkmäler 
oder Gemälde. 
Gutzkows Trauerspiele dagegen verrieten überall, daß der nervöse, 
friedlose, unruhig grübelnde Dichter zur inneren Freiheit noch nicht ge— 
langt war. Im Richard Savage wurde ein tiefsinniger Stoff, der Wider- 
spruch zwischen dem natürlichen Gefühle und der gesellschaftlichen Heu- 
chelei, unter allerhand geistreichen Einfällen und gezierten Gesprächen 
so leichthin abgetan, daß der sittliche Gehalt der Fabel ganz verloren 
ging; im Patkul mußte die abstrakte Freiheitsrhetorik, im Wullenweber 
gar das Zeitungsschlagwort die tragische Leidenschaft ersetzen. In seinem 
hastigen Schaffen ließ er sich nicht Zeit zu der umständlichen Ausführung 
der Charaktere, die er doch selbst an Schiller bewunderte, und vermochte 
darum auch nicht so fest an seine Menschen zu glauben wie Schiller an 
den Max oder den Tell. Fast noch unsicherer sprach sein sittliches Gefühl 
im Uriel Acosta, der vielbewunderten Tragödie der freien Forschung: der 
Held war kein Denker, sondern ein Zweifler, kein Bekenner, sondern ein 
Schwächling, der nur durch die Verkettung der Umstände, nicht durch 
freien Entschluß vor schimpflichem Widerrufe bewahrt wurde. Aber in 
diesen Tagen der freien Gemeinden und des Deutschkatholizismus klang 
der Vers „die Überzeugung ist des Mannes Ehre“ ganz unwiderstehlich. 
Die Hörer vergaßen willig die Erbärmlichkeit des Helden, da das Stück 
doch in sehr wirksamen Szenen den Kampf des freien Gedankens wider 
das verknöcherte Dogma vorführte; und obschon die mächtige Judenschaft 
dem Dichter grollte, weil er nicht die landesüblichen christlichen Priester, 
sondern Rabbiner als Vorkämpfer des Gewissenszwanges auftreten ließ, 
so blieb das Stück gleichwohl ein Liebling der aufgeklärten Freigeister, und 
noch viele Jahre später pflegte die kirchliche Reaktion überall, wo sie 
siegte, mit Verboten gegen den Uriel einzuschreiten. 
Wie viel Verfehltes auch mit unterlief, das deutsche Theater besann
	        
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