Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Griechenland und die Schutzmächte. 531 
philhellenischen Träume waren verflogen, das junge, durch England selbst 
mitgeschaffene Königreich wurde als ein Pfahl im Fleische der heiligen 
Türkei tödlich gehaßt. Als ein getreuer Vertreter dieses eingefleischten 
Nationalhasses erschien in Athen, durch Palmerston gesendet, Sir E. Lyons. 
Der rohe Seemann begegnete dem Hofe mit einer Anmaßung, die sogar 
über das Maß englischer Anmut weit hinausging, er blieb selbst der 
Geburtstagsfeier des Königs fern?), er verlangte hartnäckig die pünkt- 
liche Verzinsung der Anleihe, welche die drei Schutzmächte bei Rothschild 
aufgenommen hatten, obgleich er wußte, daß dies blutarme Land solchen 
Forderungen unmöglich genügen konnte, und bald erzählte sich alle Welt, 
daß er insgeheim die konstitutionelle Partei der Griechen aufwiegelte. 
Palmerston scheute sich längst nicht mehr, offen auszusprechen, England 
habe den Beruf, überall, namentlich in dem absolutistischen Südeuropa, 
die konstitutionellen Bestrebungen zu fördern; dann wird — so sagte er 
mit gewohnter Selbstgefälligkeit, „die nationale Partei überall von selbst 
die englische Partei sein“.) In dieser unziemlichen Stellung eines ge- 
heimen griechischen Parteihauptes verblieb Lyons selbst während der fünf- 
jährigen Tory-Regierung. Aberdeen wollte den gefährlichen Zänker nicht 
abrufen; ihm war es willkommen, wenn Griechenland sich durch inneren 
Hader schwächte. Auch der französische Gesandte Piscatori nahm an den 
Umtrieben der konstitutionellen Partei eifrig teil, schon weil er dem 
Briten nicht den Vortritt überlassen durfte; immerhin bewies Frankreich 
allein unter den drei Schutzmächten dem mißhandelten Schützling noch 
einiges Wohlwollen und suchte ihm namentlich die Finanznot großmütig 
zu erleichtern. 
Bei solchem Gewirr heimischer und ausländischer Ränke fühlte sich 
König Otto völlig haltlos. Herrschergaben fehlten ihm so gänzlich, daß 
schon vor Jahren Armansperg und die englische Partei ernstlich daran 
gedacht hatten, ihn auf Grund eines ärztlichen Gutachtens für regierungs- 
unfähig zu erklären. Nirgends besaß er persönliche Anhänger; die Hellenen 
schalten noch immer auf die Bavaresi, obgleich alle Bayern, bis auf einige 
Vertraute und Diener des Königs, längst heimgezogen waren. Auch seine 
Gemahlin, die schöne, geistvolle, ehrgeizige Amalie von Oldenburg wurde 
dem demokratischen Volke bald unleidlich, weil sie ihre königliche Würde 
sehr hoch hielt. Wie aussichtslos hatte sich doch die Lage dieses einst von 
ganz Europa verherrlichten und jetzt überall mißachteten Staates gestaltet. 
Seine Hauptstadt blühte auf, ihre junge Universität wurde von den Söhnen 
des lernbegierigen Volkes fast allzu eifrig besucht, die reichen Griechen im 
Auslande schmückten wetteifernd das wiedererstandene Athen mit Pracht- 
gebäuden. Aber je rascher hier ein neuer Mittelpunkt hellenischer Kultur 
* Liebermanns Bericht, 18. Juli 1842. 
*“ Bunsens Bericht, 6. April 1847. 
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