Griechenland und die Schutzmächte. 531
philhellenischen Träume waren verflogen, das junge, durch England selbst
mitgeschaffene Königreich wurde als ein Pfahl im Fleische der heiligen
Türkei tödlich gehaßt. Als ein getreuer Vertreter dieses eingefleischten
Nationalhasses erschien in Athen, durch Palmerston gesendet, Sir E. Lyons.
Der rohe Seemann begegnete dem Hofe mit einer Anmaßung, die sogar
über das Maß englischer Anmut weit hinausging, er blieb selbst der
Geburtstagsfeier des Königs fern?), er verlangte hartnäckig die pünkt-
liche Verzinsung der Anleihe, welche die drei Schutzmächte bei Rothschild
aufgenommen hatten, obgleich er wußte, daß dies blutarme Land solchen
Forderungen unmöglich genügen konnte, und bald erzählte sich alle Welt,
daß er insgeheim die konstitutionelle Partei der Griechen aufwiegelte.
Palmerston scheute sich längst nicht mehr, offen auszusprechen, England
habe den Beruf, überall, namentlich in dem absolutistischen Südeuropa,
die konstitutionellen Bestrebungen zu fördern; dann wird — so sagte er
mit gewohnter Selbstgefälligkeit, „die nationale Partei überall von selbst
die englische Partei sein“.) In dieser unziemlichen Stellung eines ge-
heimen griechischen Parteihauptes verblieb Lyons selbst während der fünf-
jährigen Tory-Regierung. Aberdeen wollte den gefährlichen Zänker nicht
abrufen; ihm war es willkommen, wenn Griechenland sich durch inneren
Hader schwächte. Auch der französische Gesandte Piscatori nahm an den
Umtrieben der konstitutionellen Partei eifrig teil, schon weil er dem
Briten nicht den Vortritt überlassen durfte; immerhin bewies Frankreich
allein unter den drei Schutzmächten dem mißhandelten Schützling noch
einiges Wohlwollen und suchte ihm namentlich die Finanznot großmütig
zu erleichtern.
Bei solchem Gewirr heimischer und ausländischer Ränke fühlte sich
König Otto völlig haltlos. Herrschergaben fehlten ihm so gänzlich, daß
schon vor Jahren Armansperg und die englische Partei ernstlich daran
gedacht hatten, ihn auf Grund eines ärztlichen Gutachtens für regierungs-
unfähig zu erklären. Nirgends besaß er persönliche Anhänger; die Hellenen
schalten noch immer auf die Bavaresi, obgleich alle Bayern, bis auf einige
Vertraute und Diener des Königs, längst heimgezogen waren. Auch seine
Gemahlin, die schöne, geistvolle, ehrgeizige Amalie von Oldenburg wurde
dem demokratischen Volke bald unleidlich, weil sie ihre königliche Würde
sehr hoch hielt. Wie aussichtslos hatte sich doch die Lage dieses einst von
ganz Europa verherrlichten und jetzt überall mißachteten Staates gestaltet.
Seine Hauptstadt blühte auf, ihre junge Universität wurde von den Söhnen
des lernbegierigen Volkes fast allzu eifrig besucht, die reichen Griechen im
Auslande schmückten wetteifernd das wiedererstandene Athen mit Pracht-
gebäuden. Aber je rascher hier ein neuer Mittelpunkt hellenischer Kultur
* Liebermanns Bericht, 18. Juli 1842.
*“ Bunsens Bericht, 6. April 1847.
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