Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

XXXIV. Der Prinz von Preußen und die Verfassungspläne. 771 
an mit dem schmerzlichen Geständnis, daß er in den beschlossenen Institutionen „nicht 
das Heil des Thrones und des Vaterlandes erblicken könne“, und faßte alsdann seine 
Bedenken in vier Hauptpunkten zusammen. Zum ersten wendete er sich gegen die ver— 
fehlte Zusammensetzung des Vereinigten Landtages; und wer mag heute noch bezweifeln, 
daß diese unförmliche Versammlung von mehr als 600 Köpfen als dauernde Institution 
unmöglich fortbestehen konnte? Der Prinz erhob dawider einen gewichtigen Einwand, 
der, so nahe er lag, seltsamerweise noch von keinem der vielen Mitratenden bemerkt worden 
war; er sagte einfach: „Diese ständische Versammlung ist teils unlenksam, teils unauf- 
löslich.“ Allgemeine Wahlen im ganzen Königreiche — Urwahlen, wie man damals 
sagte — wollte der König unter allen Umständen vermeiden. Er hielt sie — hierin mit 
dem Bruder ganz übereinstimmend — für einen Fieberzustand, wovor man das Volk 
bewahren müsse, und rühmte als einen Vorzug seines Vereinigten Landtages, daß dieser 
nicht aus allgemeinen Wahlen, sondern aus den Provinzialständen hervorgehe. Nun 
wies der Prinz schlagend nach: der Vereinigte Landtag solle ja nicht aus gewählten 
Deputierten der Provinzialstände bestehen, dann könnte „aufgelöst und in den Provinzial- 
landtagen neu gewählt werden“; er solle vielmehr die Gesamtheit der acht Provinzial- 
landtage selber umfassen und könne folglich nie aufgelöst werden, wenn man nicht in 
allen acht Provinzen zugleich Neuwahlen ausschreiben wolle. „Somit stehet diese neue 
beratende preußische Ständeversammlung weit mächtiger da als die konstitutionellen 
Kammern anderer Staaten, welche alle sich für extreme Fälle die Auflösung und Neu- 
wahlen vorbehalten haben.“ 
Eine solche Versammlung, so fuhr die Denkschrift fort, lasse sich nur dann in 
Schranken halten, wenn ihr ein Herrenstand als selbständige, gleichberechtigte Macht 
gegenüberstehe. Der Plan, die Spitzen der Aristokratie zu einer besonderen ständischen 
Bank zu vereinigen — unzweifelhaft einer der glücklichsten politischen Gedanken Friedrich 
Wilhelms IV. — war leider nicht zur vollen Reife gelangt; der König hatte bisher, zum 
lebhaften Unwillen der Ritterschaft des Ostens, nur eine kleine Anzahl erblicher 
Herren berufen und behielt sich noch vor, über die Organisation des Herrenstandes 
Weiteres zu bestimmen. Dem praktischen Sinne des Prinzen war dies Zaudern unbe- 
greiflich. Er sagte: „Es will nicht einleuchten, wie es in irgend einer Weise zu recht- 
fertigen wäre, wenn eine ganz neue ständische Ara geschaffen wird, man diese Institu- 
tionen nicht gleich ganz und komplett schafft, sondern in einem Paragraphen sich die 
wichtigste Einrichtung zu kreieren noch vorbehält.“ Auch fand er es ungerecht, den treuen 
Adel der alten Provinzen durch Zurücksetzung zu kränken. Sein Rat war, der König möge 
sogleich ein geordnetes Zweikammersystem einführen, etwa 82 Fürsten und Grundherren 
in das Oberhaus berufen und diese nach freiem Ermessen durch Virilstimmen verstärken: 
ein solcher Herrenstand würde ein starkes Gegengewicht bilden gegen die zweite Bank. 
Zum zweiten wendet sich die Denkschrift gegen das Recht des Vereinigten Land- 
tags, neue Steuern zu bewilligen. Das Steuerbewilligungsrecht der alten Stände ist 
nach und nach untergegangen, „weil es die Notwendigkeit so mit sich brachte. Preußen 
wäre seit dem Großen Kurfürsten nie das geworden, was es ist, wenn es von diesem 
Rechte abhängig geblieben wäre.“ Darum erklärt das Allgemeine Landrecht das Be- 
steuerungsrecht für ein Majestätsrecht; auch die Gesetze von 1815 und 1823 verheißen 
den Landständen nur die Beratung, nicht die Bewilligung der Steuergesetze. „Ich halte 
die Aufgabe des Steuererhebungsrechts durch die Krone für eine solche Beeinträchtigung 
der Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Thrones, daß ich mich nicht für ermächtigt 
halte, allein in die Aufgabe dieses Majestätsrechtes zu willigen." 
Zum dritten mißbilligt die Denkschrift, daß der Staatshaushaltsplan auch den 
Vereinigten Ausschüssen vorgelegt werden solle. Dies kann nur zum Mißbrauch des 
Petitionsrechtes führen; „daher werden Konzessionen des Gouvernements unerläßlich 
werden, selbst gegen die bessere ÜUberzeugung desselben.“ Alle Finanzsachen gehören viel- 
mehr ausschließlich vor den Vereinigten Landtag. 
49
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.