XXXIV. Der Prinz von Preußen und die Verfassungspläne. 771
an mit dem schmerzlichen Geständnis, daß er in den beschlossenen Institutionen „nicht
das Heil des Thrones und des Vaterlandes erblicken könne“, und faßte alsdann seine
Bedenken in vier Hauptpunkten zusammen. Zum ersten wendete er sich gegen die ver—
fehlte Zusammensetzung des Vereinigten Landtages; und wer mag heute noch bezweifeln,
daß diese unförmliche Versammlung von mehr als 600 Köpfen als dauernde Institution
unmöglich fortbestehen konnte? Der Prinz erhob dawider einen gewichtigen Einwand,
der, so nahe er lag, seltsamerweise noch von keinem der vielen Mitratenden bemerkt worden
war; er sagte einfach: „Diese ständische Versammlung ist teils unlenksam, teils unauf-
löslich.“ Allgemeine Wahlen im ganzen Königreiche — Urwahlen, wie man damals
sagte — wollte der König unter allen Umständen vermeiden. Er hielt sie — hierin mit
dem Bruder ganz übereinstimmend — für einen Fieberzustand, wovor man das Volk
bewahren müsse, und rühmte als einen Vorzug seines Vereinigten Landtages, daß dieser
nicht aus allgemeinen Wahlen, sondern aus den Provinzialständen hervorgehe. Nun
wies der Prinz schlagend nach: der Vereinigte Landtag solle ja nicht aus gewählten
Deputierten der Provinzialstände bestehen, dann könnte „aufgelöst und in den Provinzial-
landtagen neu gewählt werden“; er solle vielmehr die Gesamtheit der acht Provinzial-
landtage selber umfassen und könne folglich nie aufgelöst werden, wenn man nicht in
allen acht Provinzen zugleich Neuwahlen ausschreiben wolle. „Somit stehet diese neue
beratende preußische Ständeversammlung weit mächtiger da als die konstitutionellen
Kammern anderer Staaten, welche alle sich für extreme Fälle die Auflösung und Neu-
wahlen vorbehalten haben.“
Eine solche Versammlung, so fuhr die Denkschrift fort, lasse sich nur dann in
Schranken halten, wenn ihr ein Herrenstand als selbständige, gleichberechtigte Macht
gegenüberstehe. Der Plan, die Spitzen der Aristokratie zu einer besonderen ständischen
Bank zu vereinigen — unzweifelhaft einer der glücklichsten politischen Gedanken Friedrich
Wilhelms IV. — war leider nicht zur vollen Reife gelangt; der König hatte bisher, zum
lebhaften Unwillen der Ritterschaft des Ostens, nur eine kleine Anzahl erblicher
Herren berufen und behielt sich noch vor, über die Organisation des Herrenstandes
Weiteres zu bestimmen. Dem praktischen Sinne des Prinzen war dies Zaudern unbe-
greiflich. Er sagte: „Es will nicht einleuchten, wie es in irgend einer Weise zu recht-
fertigen wäre, wenn eine ganz neue ständische Ara geschaffen wird, man diese Institu-
tionen nicht gleich ganz und komplett schafft, sondern in einem Paragraphen sich die
wichtigste Einrichtung zu kreieren noch vorbehält.“ Auch fand er es ungerecht, den treuen
Adel der alten Provinzen durch Zurücksetzung zu kränken. Sein Rat war, der König möge
sogleich ein geordnetes Zweikammersystem einführen, etwa 82 Fürsten und Grundherren
in das Oberhaus berufen und diese nach freiem Ermessen durch Virilstimmen verstärken:
ein solcher Herrenstand würde ein starkes Gegengewicht bilden gegen die zweite Bank.
Zum zweiten wendet sich die Denkschrift gegen das Recht des Vereinigten Land-
tags, neue Steuern zu bewilligen. Das Steuerbewilligungsrecht der alten Stände ist
nach und nach untergegangen, „weil es die Notwendigkeit so mit sich brachte. Preußen
wäre seit dem Großen Kurfürsten nie das geworden, was es ist, wenn es von diesem
Rechte abhängig geblieben wäre.“ Darum erklärt das Allgemeine Landrecht das Be-
steuerungsrecht für ein Majestätsrecht; auch die Gesetze von 1815 und 1823 verheißen
den Landständen nur die Beratung, nicht die Bewilligung der Steuergesetze. „Ich halte
die Aufgabe des Steuererhebungsrechts durch die Krone für eine solche Beeinträchtigung
der Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Thrones, daß ich mich nicht für ermächtigt
halte, allein in die Aufgabe dieses Majestätsrechtes zu willigen."
Zum dritten mißbilligt die Denkschrift, daß der Staatshaushaltsplan auch den
Vereinigten Ausschüssen vorgelegt werden solle. Dies kann nur zum Mißbrauch des
Petitionsrechtes führen; „daher werden Konzessionen des Gouvernements unerläßlich
werden, selbst gegen die bessere ÜUberzeugung desselben.“ Alle Finanzsachen gehören viel-
mehr ausschließlich vor den Vereinigten Landtag.
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