1857 Erkrankung König Friedrich Wilhelm's. 279
Noch hatte man Hoffnung, da seit den erschütternden Tagen
von 1848 mehrmals schwächere Anfälle ähnlicher Art vor—
gekommen waren, wo das Gedächtniß aussetzte, oder der König
in stilles Brüten versank, wo es gefährlich war, ihn zu er-
wecken. Das Alles aber war wieder vorübergegangen, und
auch jetzt besserte sich nach einiger Zeit des Schwankens sein
Zustand; er besichtigte Truppen, machte eine kleine Reise, und
hielt noch einmal eine Sitzung des Staatsministeriums ab,
bei der ein Vorgang noch besonders tragisch erscheint. Seit
den Märztagen war die düstere Vorstellung in ihm entstanden,
daß zu seiner eigenen Buße Gott ihn zur Zuchtruthe alles
sündhaften Wesens eingesetzt habe. Dies äußerte sich unter
Anderem auch darin, daß er, von Natur mild und heiter ge-
schaffen, seitdem nur schwer zur Begnadigung bei schweren
Criminalstrafen zu bestimmen war (während bei seinem Nach-
folger das gerade Gegentheil Statt fand). In jener Sitzung
nun traf es sich, daß in der Zwischenzeit sich dreizehn Todes-
urtheile angesammelt hatten, über welche der Justizminister
Simons Bericht erstattete. Der König bestätigte davon eilf.
Es war seine letzte Regierungshandlung.
Das Gehirnleiden brach wieder aus; das geistige Leben
war umnachtet, und gegen Ende October erschien ein könig-
licher Erlaß, daß er seinem Bruder Wilhelm, dem Prinzen
von Preußen, auf drei Monate die Stellvertretung in den
Regierungsgeschäften übertrage. Der Prinz schloß daran die
Erklärung, daß er den Auftrag annehme, und die Regierung
nach den ihm wohlbekannten Intentionen Seiner Majestät
führen werde.