Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Preußens zuwartende Haltung. 47 
Bernstorff entgegengetreten, welche anmaßende Sprache hatte er anhören 
müssen, erst in Wien, dann in Dresden! Nach so niederschlagenden Er— 
fahrungen faßte man in Berlin den verständigen Entschluß, fortan keine 
Einladungen mehr ergehen zu lassen, sondern gelassen zu warten, bis die 
Noth den kleinen Nachbarn die Augen öffne. In diesem Sinne erging 
an sämmtliche Gesandten in Deutschland die gemessene Weisung, sich 
streng zurückzuhalten und auf alle handelspolitischen Anfragen lediglich 
zu antworten: der König habe schon im Jahre 1818 sich zu Verhand— 
lungen bereit erklärt, er hege noch immer den Wunsch, andere deutsche 
Staaten mit seinem Zollsysteme zu verbinden, jetzt sei es an den Nach— 
barn, dem guten Willen entgegen zu kommen. Eichhorn begründete diesen 
Entschluß mit der Erwägung, daß die Eifersucht der Dynastien durch Ein— 
ladungen erfahrungsmäßig nur gereizt würde: „Solche Anträge konnten 
zugleich als Aufforderungen zur Aenderung ihrer inneren Staatsgesetz— 
gebung und als ihre Selbständigkeit gefährdende Anmuthungen mißdeutet 
werden."““) Gegen das tiefeingewurzelte Mißtrauen der kleinen Höfe 
half nur eine Waffe: ruhiger Gleichmuth, der die Natur der Dinge für 
sich wirken ließ. Was verschlug es auch, wenn die Presse unablässig 
über Preußens selbstsüchtige Sonderstellung Wehe rief? Von der öffent- 
lichen Meinung, die sich noch weit verblendeter zeigte als die Höfe, hatte 
die Handelseinheit des Vaterlandes nichts zu erwarten; Preußens bester 
Bundesgenosse war die wachsende Finanznoth der kleinen Staaten. — 
  
Die Bevollmächtigten der constitutionellen Staaten trugen aus Wien 
die Gewißheit heim, daß ihre Verfassungen vorläufig vom Bunde nichts 
zu fürchten hatten. Während Zentner dies Ergebniß als einen Sieg be- 
trachtete, war Berstett voll Unmuths. Er hatte so sicher erwartet, daß die 
Wiener Versammlung seinen unruhigen Karlsruher Landtag zu Paaren 
treiben würde, und mußte nun mit leeren Händen heimkehren. Beim 
Schluß der Conferenzen richtete er noch einmal eine dringende Bitte an 
Metternich: jetzt da der politische Meuchelmord in Frankreich rase, sei es 
doch hohe Zeit, daß alle europäischen Mächte einander den Bestand der 
monarchischen Principien feierlich verbürgten. „Mit einer Derclaration 
der Rechte der Völker hat der Turnus der Revolutionen begonnen. 
Könnte er nicht mit einer Declaration der Rechte der Throne beschlossen 
werden?“ Dem österreichischen Staatsmanne kam diese Aufforderung 
im Augenblicke sehr ungelegen. Er brauchte für jetzt Ruhe in Deutsch- 
land, selbst um den Preis eines Waffenstillstands mit den verabscheuten 
  
*) Weisungen an Otterstedt, 2. Nov. 1822, 20. Febr. 1825 u. s. w. Eichhorn's 
Gutachten, 21. April 1824. Weisung an die Gesandtschaften, 25. März 1828.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.