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Bei der in den nächsten Tagen vorgenommenen
Vermessung erwies sich der nach Angabe der Ein-
geborenen zum erstenmal von einem Dampsschiff
besuchte Hafen als ein annähernd rundes, gegen
alle Winde geschütztes Becken, das allerdings nur
für ein größeres Schiff Raum bietet, aber trotz-
dem an der hafenarmen Ostküste von Neumecklen-
burg von Wichtigkeit werden dürfte. Wie in allen
solchen Fällen wurde die neue Karte sogleich durch
Pausen vervielfältigt und den an der Schiffahrt
beteiligten Kreisen zugänglich gemacht.
Als wir das Land betraten, kamen uns einige
der vom Gouvernement eingesetzten Häuptlinge
entgegen, um uns zu begrüßen. Der Gouverneur
hatte den Stationschef von Namatanai von der
Ankunft der Expedition in Kenntnis gesetzt, und
dieser hatte alle seine Häuptlinge bis hinunter
nach Kap St. Georg durch Boten von unserem
Kommen benachrichtigt. Am 4. Dezember kam
der Gouverneur mit dem „Seestern“ selbst nach
Muliama und setzte den Häuptlingen nochmals
Zweck und Absichten der Expedition auseinander.
„Planet“ schiffte das Gepäck der Expedition aus
und war beim Ban des Lagers so lange behilflich,
bis die Expedition mit den Eingeborenen allein
die Arbeiten fortsetzen konnte. Am 6. Dezember
verließ er den Hafen und dampfte nach Matupi
zurück.
Das Lager besteht aus einigen Hütten am
Strande, die vor einigen Jahren von zwei Chi-
nesen erbaut worden sind. Beide Besitzer starben
ohne Erben, ihr Besitz siel an das Gouvernement
zurück. Auf einer Korallenstufe von etwa 15 Metern
Höhe stehen die drei Zelte, und noch etwas höher
sind aus Eingeborenenmaterial einige weitere
Häuser errichtet. Das Ganze liegt in einer Kokos-
pflanzung, grenzt im Osten an ein Dorf, im Süden
und Westen an hohen Urwald und im Norden
an das offene Meer, das in schweren Brandungs-
wellen seine Kraft an dem vorgelagerten Riff
bricht. Das Wasser wird von einem kühlen Gebirgs-
bach geliefert, der über viele Korallenterrassen
herabstürzt und unmittelbar an der See einen
Wasserfall bildet. Marine-Stabsarzt Dr. Stephan,
Dr. Schlaginhaufen und der Photograph Schil-
ling bilden die weiße, der chinesische Koch, neun
Polizeisoldaten und elf Arbeiter die farbige Be-
satzung.
Die Lage des Ortes muß als sehr günstig
bezeichnet werden. Das Arbeitsgebiet wird sich
an der Küste südlich bis Likkilikki (etwa 120 km)
und nördlich bis Namatanai (gegen 100 km)
erstrecken. Außerdem wird es möglich sein, ins
Gebirge vorzudringen, wahrscheinlich sogar die
Insel an ihrem breitesten Teil zu durchaueren
und endlich die Inseln Janirr (St. John), Tanga
(Caan-Insel) und vielleicht auch Lihirr (Gerrit
Denys) zu besuchen, die alle drei in Sichtweite
von Muliama liegen. Obwohl ferner das Gebiet
erst seit etwa zwei Jahren beruhigt ist, bietet es
heute schon genügende Sicherheit, um eingehende
ethnographische Forschungen zu ermöglichen; ander-
seits ist es noch so unberührt, daß die Sitten und
Gebräuche des Volkes in ihrer ganzen Ursprüng-
lichkeit studiert werden können. Besonders inter-
essant dürfte die Erforschung zweier Geheimbünde,
des Dudduk und des Iniet, werden, deren Vor-
handensein schon festgestellt werden konnte. Ebenso
ließ sich bereits eine weitgehende Verwandtschaft
der Bewohner der Landschaft Muliama mit den
Leuten der Westküste von Neumecklenburg nach-
weisen, die von dem Leiter der Expedition vor
drei Jahren erforscht worden sind.
Eine Reise nach den Karolinen und Marschallinseln.“)
Am 12. September 1907 ging der Regie-
rungsdampfer „Seestern“ von Herbertshöhe in
See. Das erste Ziel war die bisher nur wenig
bekannte Tensch-Insel im Osten von St. Mat-
thias; ihre genaue Lage war noch nicht fest-
gelegt. Nachdem wir am nächsten Morgen die
Steffenstraße zwischen Neu-Mecklenburg und Neu-
Hannover durchfahren hatten, kamen wir mittags
vor Tensch-Insel an. Die Bevölkerung dieses
kleinen, mit Kokosnüssen gut bewachsenen Eilandes
ist anscheinend nicht über hundert Köpfe stark.
Die Leute gehen vollständig unbekleidet. Die
Männer tragen lange, in drei filzigen Enden über
die Brust herabfallende Bärte. Die ersten beiden
Kanoes, welche von Land abstießen, hielten sich
in angemessener Entfernung. Als jedoch das
dritte Kanoe längsseit gekommen war und wir
den Insassen ihre geringen Tauschartikel mit
Messern und sehr begehrten leeren Flaschen ab-
gekauft hatten, fuhr die gesamte Flottille der
Insel heran. Die Eingeborenen waren sehr scheu.
Keiner ließ sich bewegen, an Bord zu kommen.
Der beabsichtigte Besuch der Insel wurde bis zu
einer späteren Anwesenheit des Regierungs-
dampfers verschoben. Das Vertrauen dieser von
der Kultur noch gänzlich unberührten Eingeborenen
ist erst nach mehrfachem Besuche zu gewinnen.
Am 15. September bekamen wir die zur
Gruppe der Ost-Karolinen gehörigen Mortlock-
Inseln in Sicht. Die früher mit Kokosnüssen
und Brotfruchtbäumen reich bewachsenen Mortlock-
Inseln haben durch den letzten Taifun stark ge-
litten. Bei der Durchquerung von Satawan
konnten wir uns von den furchtbaren Verheerungen
*) Bericht des Gouverneurs von Deutsch-Neugnuinea
vom 8. November 1907.